Hierarchie

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Hierarchie und Gleichberechtigung

Leben zwischen den Welten

Erbfolge

Außer dem ältesten und dem jüngsten Sohn bekamen alle anderen Söhne einen gleich großen Erbanteil zugewiesen. Der Älteste bekam etwas mehr, weil er am meisten für den Familienbesitz gearbeitet hatte und sie im Alter versorgen mußte. Der Mutter war es erlaubt, ihre Mitgift selber aufzuteilen.

Von allen Kindern einer mongolischen Familie wird erwartet, dass sie heiraten und einen eigenen Hausstand gründen. Nur vom jüngsten Sohn wird dies nicht verlangt – er hat das Herdfeuer zu erhalten und lebt daher mit seiner Frau im Haushalt seiner Eltern.

Für die Mongolen ist dies mehr als nur eine moralische Verpflichtung gegenüber den Vorfahren. Der Herd der Familie ist nicht nur Symbol, sondern auch ein materielles Zeichen für die Fortsetzung der Abstammungslinie. Aus diesem Grunde darf das Herdfeuer nicht erlöschen oder befleckt werden. So adoptieren kinderlose Ehepaare oft Kinder oder nehmen einen jungen Verwandter auf – sie wollen das Herdfeuer erhalten.

Rechte & Pflichten

In einer mongolischen Familie zu leben heißt, die Rechte und Pflichten jedes einzelnen zu akzeptieren. Diese Regeln sind heute nicht mehr so stark festgelegt wie früher, ordnen aber immer noch die Beziehungen innerhalb der Familie. Die wichtigsten Kriterien sind Alter und Geschlecht: Ältere haben Vorrang vor Jüngeren, Männer vor Frauen.

Immer schon wurden die Alten geehrt und ihre Ratschläge befolgt. Sie unterwiesen die Kinder in Brauchtum und Sitten und achteten darauf, dass sie die Umgangsformen einhielten. Die Ältesten sitzen immer auf dem Ehrenplatz und werden am Neujahrstag als erste begrüßt. Durch die festgefügte Sitzordnung bei feierlichen Anlässen läßt sich sehr leicht das Alter der Anwesenden feststellen. Die Jüngsten sitzen an der Tür, Männer rechts, Frauen links. Der Vater sitzt auf dem am weitesten von der Tür entfernten Platz, neben ihm seine Frau an ihrem üblichen Platz neben dem Herd, daneben die älteste Tochter, daneben die anderen Kinder. Nur der älteste Sohn sitzt weit weg auf der männlichen Seite. Falls auch Großeltern in der Familie leben, so haben sie ihren Platz rechts und links neben dem Familienoberhaupt.

All diese Familienstrukturen hatten sich unter der sozialistischen Diktatur allmählich aufgelöst. Viele junge Leute zogen es vor, in der Stadt statt auf dem Lande zu wohnen. Es vollzog sich ein sozialer und kultureller Wandel. Nach der Befreiung vom sozialistischen Joch bildet sich zaghaft eine Zurück-aufs-Land-Bewegung, die die verschütteten traditionellen Werte wiederaufleben läßt.

Geschlechterrollen

Die erwähnte Sitzordnung bestätigt das Patriarchat, das in der mongolischen Familie herrscht. Frauen nehmen eine untergeordnete Stellung ein. Besonders, wenn Fremde zu Gast in einer Jurte sind, wird dies offensichtlich. Die Frauen haben kniend dazusitzen, beteiligen sich nicht an der Unterhaltung und würden niemals ihrem Mann widersprechen. In der Regel haben sie wenig Einfluß auf wichtige Familienangelegenheiten, etwa die Heirat der Kinder.

Ihre Bereiche sind Haushalt und Milchwirtschaft. Nur die schweren Arbeiten außerhalb der Jurte übernimmt der Mann. Männer sollen sich um das öffentliche Leben und die Beziehungen außerhalb der Familie kümmern. Während sie seit jeher mit Jagd und Viehzucht, Kriegsvorbereitung und dem Zureiten von Pferden beschäftigt sind, liegt die Hauptlast der häuslichen Arbeit bei den Frauen. Gleichzeitig müssen sie die Kleintiere betreuen.

Ende des 19. Jh. berichtete der russische Gelehrte Iwanowski:

»Mongolinnen sind mit vielen Hausarbeiten belastet. Sie bereiten die Speisen, melken, machen Butter und Käse, besorgen das neugeborene junge Vieh, stellen die Kleidung her. Diese unendlichen Sorgen für die Haushaltung erhalten beständig ihre Energie, im Gegensatz zu den Männern, deren träges Leben sich nur periodisch ändert. Dafür erfreuen sich die Frauen in hohem Maße einer gewissen Selbständigkeit. Sie sind nicht willenlose Sklavinnen ihrer Männer sondern gleichberechtigte Herrinnen.«

Gleichberechtigt? Ja, nach dem Selbstverständnis der heutigen mongolischen Frau. Sie ist völlig frei und gilt als dem Mann ebenbürtig, bei einigen Stämmen sogar als ihm angesehen. Diese hohe Einschätzung der Frau geht auf Dschingis Khan zurück, der anordnete, »dass die Frauen, wenn sie mit den Männern in den Krieg ziehen, die Männer in ihren Aufgaben und Arbeiten ersetzen sollen, solange diese selbst in Kämpfen abwesend sind«.

Die Gleichheit der Rechte für beide Geschlechter erstreckte sich auf alle Schichten der Bevölkerung. Die mongolische Frau besaß eine Freiheit, wie sie sonst in keinem der anderen asiatischen Länder üblich war. Marco Polo sagt: »Ihre Frauen sind gut; sie wahren die Ehre ihrer Gatten und herrschen bestens über ihre Familie.«

Auch heute noch leisten Frauen ein ungeheures Arbeitspensum. Sie führen die Karren bei den langen Wanderzügen, bauen die Zelte ab und wieder auf, melken das Vieh, bereiten Butter und Speisen und stellen sämtliche Kleidungsstücke, einschließlich der Schuhe, her.

Alter Und Tod

Als Übergang in die letzte Lebensphase lassen sich ältere Frauen und Männer den Kopf scheren. Damit treten sie in einen Zustand zwischen Diesseits und Jenseits, ähnlich wie auch die Säuglinge.

Stärker als alle Zeremonien waren Tod und Bestattung immer schon mit der Religion verbunden. Im Todesfall wurden mehrere Lamas herbeigerufen, um das Überschreiten in die andere Welt zu begleiten. Die Lamas lasen drei Tage lang Sutren. Ein Lama-Astrologe bestimmte, wo die Seele den Leichnam verläßt, welche Form der Wiedergeburt der Verstorbene haben wird und für welche Familienangehörige gebetet werden muß, weil der Tote sie mit sich nehmen möchte.

Den Glauben an die Reinkarnation gab es bei den Mongolen lange vor der Übernahme des Buddhismus. Die Toten wurden früher mit ihrem Pferd und den Waffen (Männer) oder der Kleidung (Frauen) bestattet. Erst die Lamas änderten diese Sitte, und die Angehörigen des Toten gaben dessen letzte Habe den Mönchen. Während der Tote noch aufgebahrt in der Jurte lag, versorgte man ihn mit Nahrung.

Gräber im eigentlichen Sinne gab es gar nicht. Die Leichen wurden nackt auf die Erde gelegt, wo sie den Tieren als Fraß dienten. Dies war ein Zeichen der Einheit von Mensch und Natur. Man glaubte auch, dass sich die Seele dadurch schneller vom Körper trennen und ins Jenseits gelangen könnte. Ab und zu wurden die Toten auch verbrannt. Die Form der Beerdigung wurde erst vor wenigen Jahrzehnten gesetzlich bestimmt, weil sie »zivilisierter« sei. Auch heute noch leben die Mongolen in enger Verbindung mit der Natur. Tod und Geburt liegen für sie dicht beieinander.