Wiederaufbau

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Weg in die Freiheit

Land im Wiederaufbau

Das Land hat sich nach langer Isolation nach außen geöffnet: 1987 wurden Beziehungen zu den USA, 1989 zur EU aufgenommen. Wenige Tage nach der deutschen Wiedervereinigung wurde ein mongolischer Botschafter in Bonn akkreditiert. Seit dem 20. Februar 1991 amtiert der erste bundesdeutsche Botschafter in Ulaan Baatar. Die russischen Soldaten haben bis auf eine kleine »ökologische Truppe« 1991/92 das Land verlassen.

Ältere Historiker und junge Oppositionelle finden sich zusammen in Warnungen vor den Chinesen, die die junge Unabhängigkeit der Mongolei bedrohen. Man habe das russische Joch nicht abgeschüttelt, um sich nun wieder unter das chinesische zu begeben. Eine Anlehnung an China sei politischer Selbstmord. Sie weisen auch darauf hin, dass die MRVP die ersten freien Wahlen einer großzügigen chinesischen Papierspende zu verdanken hatte. In Gesprächen mit jungen Mongolen über die Zukunft ihres Landes wird unweigerlich auch die Furcht vor dem chinesischen Imperialismus (Taiwan, Hongkong, Spratley-Inseln, Tibet) erwähnt.

Der Kleine Volkschural verabschiedete im September 1991 ein Gesetz, das die Ausübung eines Regierungsamtes und die Mitgliedschaft in einer politischen Partei für unvereinbar erklärte. Präsident Punsalmaagiyn Ochirbat sowie einige Minister traten daraufhin aus der MRVP aus. Die führende Reformgruppe innerhalb der MRVP teilte im Dezember 1991 ihren Austritt und die Gründung einer eigenen Organisation, der Partei der nationalen Erneuerung, mit.

Am 13. Januar 1992 verabschiedete der Große Volkshural eine neue Verfassung, worin die Mongolei zu einem demokratischen Rechtsstaat mit marktwirtschaftlichem System erklärt wird. Der Staatsname Mongolische Volksrepublik wurde in Mongolei (Monggol Ulus) geändert, privater Landbesitz zugelassen, Rede- und Glaubensfreiheit garantiert. Aus Staatsflagge und Wappen wurde der Sowjetstern entfernt.

Bei den Parlamentswahlen am 28. Juni 1992 bewarben sich 13 Parteien. Bei einer Wahlbeteiligung von 93% gewann die MRVP 70 der 76 Sitze im Großen Staatshural. Neuer Regierungschef wurde Puntsagiin Jasray.

Vier Jahre darauf, im Juni 1996, löste eine Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Buddhisten die sozialistische MRVP ab. Mit dieser Machtverschiebung begann eine neue Epoche der mongolischen Geschichte. Erstmals seit 1921 waren die Kommunisten nicht mehr an der Regierungsmacht beteiligt. Ende Oktober 1996 besuchte der deutsche Außenminister Kinkel Ulan Bator und versprach weitere Wirtschaftshilfe.

Groß-Mongolei morgen?

Irritationen zwischen Ulaan Baatar und Peking löste ein Anfang 1992 bekanntgewordenes geheimes chinesisches Dokument aus, dass alle mongolischen Gebiete (die Burjätische Autonome Region, die unabhängige Mongolei und die Innere Mongolei) als chinesisches Territorium reklamierte. Peking kritisierte darin Bestrebungen, die mongolischen Gebiete in China und Rußland mit der unabhängigen Mongolei zu vereinigen. Seit 1991 verlassen bereits die ersten Russen die mehrheitlich von Mongolen besiedelten Gebiete in Burjätien und Tuwa.

Tannu Tuwa war bis 1921 Teil der Mongolei, wurde dann ein sowjetisches Protektorat und 1944 von Stalin ganz annektiert. Die turko-mongolische Mehrheit von Tuwa hat bereits ihren Willen bekundet, mit der freien Mongolei wiedervereinigt zu werden. Auch in Burjätien, das sich östlich des Baikalsees erstreckt, gibt es starke Kräfte, die den Anschluß ihrer noch zur Russischen Föderation gehörenden Republik an die Mongolei anstreben.

Die Mongolen in der Inneren Mongolei dagegen werden in ihrer eigenen Heimat längst von eingewanderten Han-Chinesen erdrückt (Verhältnis 1:10 bis 1:20). Dazu kommt, dass das Territorium der Inneren Mongolei während der Kulturrevolution 1969 stark verkleinert wurde. Schließlich lebt die Hälfte der 3,5 Millionen Mongolen in China außerhalb der »Autonomen Region Innere Mongolei«.

Zum nationalen Symbol der Mongolen ist Temüdschin geworden. Dschingis Khan hatte den Grundstein für ein mongolisches Imperium gelegt, das vom Pazifik bis an die Donau, von Rußland bis zum Arabischen Meer reichte. Sein Porträt ziert Amtsstuben und selbst das Arbeitszimmer des Präsidenten.

Ausgerechnet Dschingis Khan als Kultfigur der freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen, marktwirtschaftlich ausgerichteten Mongolei? Eine Neubewertung dieser historischen Gestalt ist im Gange. Sein Ruf als barbarischer Heerführer, dem das größte Blutvergießen der Geschichte anzulasten sei, ist für die junge Elite eine von den Russen in die Welt gesetzte Geschichtsklitterung. Schließlich sei Dschingis Khan schon tot gewesen, als sein Sohn und Nachfolger Ögödei zwischen 1232 und 1242 Europa in Angst und Schrecken versetzt habe. Als Einiger der mongolischen Stämme, als Gesetzgeber und Förderer einer nationalen Kultur wollen sie Dschingis Khan sehen und sich an seiner Größe aufrichten.