Letztes Aufbäumen
Altan Khan
Todeszuckungen und Glaubensbekehrungen
Immer häufiger kam es nun wie vor Dschingis Khans Zeiten zu Kämpfen zwischen den einzelnen Stämmen, die den Niedergang des Reiches beschleunigten. Nur Altan Khan (1507-83), einem Fürsten der Chalcha, gelang es nach 1543 noch einmal, den größten Teil der Mongolei unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Doch auch er konnte nicht mehr die an die Ming verlorenen Gebiete zurückerobern. 1571 unterzeichnete Altan Khan mit China einen Friedensvertrag und wandte sich danach gegen Tibet.
Ironischerweise wurde der Khan durch den tibetischen Lamaismus tief religiös und machte den Buddhismus zur Staatsreligion. Er ging als erster Lebender Buddha (Khutukhtu = der Gesegnete) in die mongolische Geschichte ein. Nach seinem Tode zerfiel die Mongolei wieder in kleine Fürstentümer.
Den von Dschingis Khan und seinen Nachfolgern geführten Eroberungszügen sind Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Unermeßliche Schätze der Kunst und Kultur wurden zerstört, weltberühmte Städt in Schutt und Asche gelegt, darunter die blühenden Samarkand, Buchara und Taschkent. Für das einfache Volk brachten diese Kriege keine Freiheit, sondern Elend und Tod. Viele Zehntausende Mongolen wurden in dieser Zeit aus ihrer Heimat fortgeführt und starben auf fernen Schlachtfeldern für ihre Herrscher.
Innere Wirren
In den folgenden Jahrhunderten wird die Geschichte der Mongolen immer schwerer überschaubar. Ihr Kampf untereinander dauerte bis in das ausgehende 17. Jh. Er wurde durch die chinesischen Dynastien der Ming und Qing (Mandschu) nach Kräften gefördert und ausgenutzt, denn er verhinderte die dauernde Wiedervereinigung der Mongolen, durch die eine erneute Eroberung Chinas gedroht hätte.
In diesem Kampf zwischen dem »linken Flügel«, den Ost- und Nordmongolen mit den Chalcha als wichtigstem Stamm auf der einen Seite, und den Süd- und Westmongolen, dem von einem Vizekönig regierten »rechten Flügel« (Ordos, Tümed und Oiraten), auf der anderen, wechselten häufig die Stammesföderationen und mit ihnen die niemals unangefochtene Vormacht.
Dajan Khan (1470-1543) und Altan Khan (1543-1583) gaben der Mongolei zwar einen Teil der verlorenen Einheit zurück und konnten sogar beim Versuche, wieder in China Fuß zu fassen, bis vor die Tore Pekings dringen. Dabei erbeuteten sie zwar zwei Millionen Stück Vieh. Die Stabilität und Kontinuität ihrer Reiche scheiterten aber am mongolischen Brauch der Erbteilungen. Dadurch entstanden zahlreiche selbständige Khanate, die sich nicht mehr zu einer Einheit bekannten und oft Kriege gegeneinander führten.
Lamaismus
Altan Khan war 1578 zum Buddhismus übergetreten. Damit begann der zweite Faktor der späteren mongolischen Geschichte wirksam zu werden. Der tibetanische Lamaismus wurde 1585 Staatsreligion der Chalcha. Er sollte die bisher am Ideal des Kriegers orientierten Völker in friedliche, der Kontemplation und Schicksalsergebenheit zugewandten Menschen umwandeln.
Der Lamaismus wird in der Historiographie, insbesondere des Marxismus, häufig abfällig behandelt. Er habe die Völker in Unwissenheit, Trägheit und einem überholten System von Theokratie und Feudalismus festgehalten. Mit größerer Berechtigung kann aber gesagt werden, dass die Mongolen, vor allem da ihnen die tiefergehenden geistigen Einsichten verschlossen blieben, die Bigotterie und den lamaistischen Klerikalismus übernahmen. Die Unterhaltung der Klöster und Lamas verschlang große Summen.
Der Lamaismus löste jedoch andererseits im 17. Jh. eine neue kulturelle Blüte aus. Nach der »Geheimen Geschichte« im 13. Jh. entstand jetzt eine neue Literatur, in der auch die tibetischen heiligen Bücher übersetzt wurden. Die Klöster, deren erstes, Erdene Zuu, 1586 in der Nähe von Karakorum gegründet wurde, bildeten sich zu Zentren heran, die die Entwicklung von Landwirtschaft, Wirtschaft und Kunst nachhaltig beeinflußten.
Nach dem Zeugnis russischer Reisender war der Lebensstandard und das allgemeine kulturelle Niveau der Mongolen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. höher als das der Nomadenvölker unter russischer Herrschaft. Es ist vornehmlich auf den Einfluß des Lamaismus zurückzuführen, wenn sich die Mongolen das Bewußtsein ihrer Eigenständigkeit erhielten.