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Wohnungsnot

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Die Wohnungsnot

Kairo ist heute weit über den Nil hinausgewachsen. Wohnviertel wie Dokki oder
Gizah mit seinem Zoo und botanischen Garten breiten sich unaufhörlich aus. Im
Westen zeichnet sich ein riesiger Wohnbezirk mit weiten Schneisen und Wohnhäusern
ab, in denen das Klein- und Mittelbürgertum auf engstem Raum zusammenpfercht
ist. Von einem Jahr aufs andere werden die letzten Gärten im Umkreis, die letzten
Gemüsebeete von der sich ausweitenden Stadt verschluckt. Nichts und niemand
scheint ihr Wuchern aufhalten zu können.

Seit dem Ende der siebziger Jahre wurde viel gebaut, aber das Wohnungsproblem
bleibt dennoch eine der Hauptsorgen der Kairoer, deren Zahl sich durch die massive
Landflucht und die Abwanderung der Kanalanrainer nach dem Krieg 1967 beträchtlich
erhöht hat. Viele der aus den zerbombten Gebieten Geflohenen sind nie dorthin
zurückgekehrt, auch nicht nach Wiedereröffnung des Kanals und dem Friedensvertrag
mit Israel. Wenige finden an der Dezentralisierungspolitik Gefallen: der Gründung
von Satellitenstädten zur Entlastung Kairos, mitten im Wüstengürtel um die Stadt,
war nur ein mittelmäßiger Erfolg beschieden.

Mit der seuchenartig grassierenden Inflation begannen die einst spottbilligen
Mieten zu steigen, ebenso die inzwischen unerschwinglichen Gebühren, die verlangt
werden, um eine Wohnung sein eigen nennen zu können. Summen, die in keinem Verhältnis
mehr stehen zum Einkommen der breiten Mehrheit, denn die Lohnerhöhungen haben
die Verteuerung der Lebenshaltungskosten bei weitem nicht auffangen können.
Man braucht sich also nicht zu wundern, wenn der Taxifahrer gesteht, er sei
Beamter, Rechtsanwalt oder Arzt und bessere sein Gehalt als Freizeitchauffeur
auf. Es ist gang und gäbe, zwei Berufe auszuüben, und neben der zeitweiligen
Auswanderung die einzige Möglichkeit durchzukommen. Das Wohnungsproblem führt
zu teilweise schmerzlichen sozialen Zwangslagen. Da sie sich keine eigene Wohnung
leisten können, müssen junge Paare zwangsläufig bei ihren Eltern in einem heillosen
Durcheinander wohnen. Verlobte müssen ihre Hochzeit einige Jahre aufschieben,
um zunächst einmal das Geld für die Wohnung zusammenzusparen. Mit einem Anflug
von Humor sagt man manchmal, im Grunde sei die Wohnungsnot die einzig zuverlässige
Methode der Geburtenkontrolle, denn die islamische Gesellschaft verhält sich
außerordentlich strikt in Bezug auf Sexualität und verdammt jede außereheliche
Beziehung, sei sie auch nur platonischer Art. Ohne gleich saudiarabische Strenge
zu erreichen, schickt es sich auch in Ägypten für ein junges Mädchen oder eine
junge Frau nicht, allein oder mit einem Freund ein Café oder ein Kino zu besuchen.
Der Aufschwung des Fundamentalismus´ und seine Forderung nach völliger Trennung
der Geschlechter verstärkt diese Tendenz noch zusätzlich.

Reichtum und Armut

Die Überbevölkerung in der Stadt erzeugt noch weitere Probleme. Angezogen von
der Hoffnung auf ein besseres Leben, vom Traum des leichtverdienten Geldes,
fristen viele der Neuzugezogenen ein kümmerliches Dasein und sind noch viel
ärmer dran als vorher, weil das Stadtleben die Auflösung der traditionellen
Familienbande und ihrer Solidarität mit sich bringt. Auch wenn es in Kairo kaum
mehr Bettler als in krisengeschüttelten westlichen Hauptstädten gibt, ist es
sehr schwierig, die wirkliche Arbeitslosenquote zu ermitteln; noch dazu, da
die Ärmsten der Armen irgendwelchen Beschäftigungen nachgehen, die es ihnen
ermöglichen, mehr schlecht als recht zu überleben: als Schuhputzer, Laufburschen
oder Verkäufer, die direkt auf den Gehsteigen ihre wenigen Schnürsenkel, Kaugummipackungen
oder Haarspangen feilbieten.

Gleich neben dieser doch recht würdevollen Armut glänzt prunkvoller Überfluß.
Vor den Luxushotels parken brandneue Importautos – Mercedeslimousinen werden
am meisten geschätzt – die elegant gekleidete, schmuckbehängte Damen ausspucken.
In erleuchteten Sälen werden ostentativ große Hochzeiten gefeiert: grelle Kleidung,
Bauchtänzerinnen, Orchester, Blumenfülle und Gelage. Hier wird an einem einzigen
Abend mehr als der Jahreslohn eines Arbeiters, Angestellten oder Beamten verpraßt.
So viel Ungleichheit wirft eine Frage auf, für die es keine Antwort gibt: bis
wohin und bis wann wird sie toleriert? In regelmäßigen Abständen brechen Hungerunruhen
aus, aber dieser kurze Aufruhr erstickt, durch einige Notmaßnahmen besänftigt,
bald wieder.