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Nach Alexandria

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Von Kairo nach Alexandria

Eine einwandfreie gebührenpflichtige Wüstenautobahn verbindet Kairo mit Alexandria, und eine Abzweigung erlaubt, die koptischen Klöster in Wadi Natrun zu besichtigen, in denen sich neues Leben regt, nachdem sie bereits fast aufgegeben worden waren. Die alternative Route über die Landstraße nimmt etwas mehr Zeit in Anspruch: nicht etwa, weil sie so schlecht ausgebaut wäre, sondern wegen ihrer Überlastung. Sie durchquert die Mitte und den Westen des Deltas und führt über Benha und Tanta. Ersteres ist ein bedeutender Handelsplatz für Obst und Baumwolle; hier wurde der Ort des antiken Athribis lokalisiert, von dem nicht mehr als ein paar ärmliche, unkenntliche Mauerreste geblieben sind. Tanta ist eine Handelsstadt, in der häufig Märkte abgehalten werden; der bekannteste findet anläßlich des Geburtstages eines inbrünstig verehrten Lokalheiligen statt: Sayed al-Badawi. Marokkanischer Herkunft, ließ er sich im 13. Jh. auf seiner Rückkehr aus Mekka in Tanta nieder. Als er das Zeitliche gesegnet hatte, begründeten unzählige Wunderheilungen an seinem Grab al-Badawis Ruf und den seiner Wahlheimat.

Die genannten Städte, Opfer einer sprunghaften, unkontrollierten Entwicklung, sind mit ihren unfertigen Häusern und aufgewühlten Straßen an sich wenig anziehend. Als Provinzhauptstädte verfügen sie heute häufig über eine Universität, erinnern aber dennoch eher an große Dörfer denn an Städte und weisen so möglicherweise auf eines der Merkmale Ägyptens hin: eine im Grunde ländlich geprägte Welt, die brüsk und ohne Übergang der Verstädterung anheimfiel.

Rosettas Zauber

Richtung Osten verlassen wir Alexandria auf der Küstenstraße, die uns zwischen dem Meer und dem Edku-See bis nach Rosetta, arabisch Raschid, führt. Rosetta ist unseren westlichen Nachbarn unter dem Namen Rosette gut bekannt, denn hier entdeckte ein französischer Offizier anläßlich der Erdbewegungen während des napoleonischen Ägyptenfeldzuges jenen schwarzen Stein, auf dem ein Dekret Ptolemäus´ V. in drei verschiedenen Schriften aufgezeichnet war. Nach dem Sieg über die Franzosen brachten ihn die britischen Truppen in ihrem Gepäck nach England, wo die Stele im British Museum ausgestellt wurde. Champollion war deshalb lediglich dank einer Kopie in der Lage, den so lange verschollenen Schlüssel zur Hieroglyphenschrift zu finden.

Im 9. Jh. von den Kalifen gegründet, war Rosetta bis zu seiner Verdrängung durch Alexandria im 19. Jh. das ägyptische Tor zum Mittelmeer. Es hat sich den altertümlichen Reiz eines alten, halb aufgegebenen Hafenplatzes bewahrt. Hohe Gebäude aus roten und schwarzen Ziegelsteinen, mit hölzernen Maschrabijas versehene Fenster, verleihen den Gassen einen malerischen Anstrich, auch wenn sie ihre ehemalige Belebtheit verloren haben. Im Norden der Stadt verläuft eine Straße am anderen Ufer des Nilarmes bis zum Mittelmeer. Dort ergießen sich die aus dem Herzen Afrikas stammenden Fluten ins Meer und hinterlassen noch lange ihre Spuren, bis sie völlig darin aufgehen.

Auf dem Rückweg nach Kairo passieren wir zwischen Desuk und Tanta die Ruinen von Sais, heute Sâ al-Hagar. Hier verehrte man die ganze Antike über die Göttin Neith, die von den Griechen später Athene gleichgestellt wurde. Hier errichteten die Pharaonen der 26. Dynastie ihre Hauptstadt und hier ließen sich auch begraben. An diese Metropole des Altertums, an diesen Wallfahrtsort erinnert nurmehr ein wages, verwahrlostes, verwüstetes Gebiet, auf dem vereinzelt einige Steinmauern und geborstene Steinblöcke liegen. Man kann nicht umhin, an die düstere Verwünschung des Hermes Trismegistos (in den hermetischen Schriften mit dem ägyptischen Gott der Schreibkunst, Thoth, identifiziert) zu denken: »Es wird eine Zeit kommen, da deutlich wird, dass die Ägypter die Götter vergeblich verehrten. Von der Erde werden diese Götter in den Himmel zurückkehren, und Ägypten wird dem Untergang geweiht sein ... Ägypten! Ägypten!«

Vergessene Städte?

Unweit der Hauptstraße nach Damietta/Dumjat erstreckt sich das Feld durcheinandergewürfelter, grandioser Ruinen von Behbeit al-Hagar. Der Isis geweihte Tempel besteht aus einer gewaltigen Anhäufung von Granit- und Basaltblöcken, die vor den gierigen Steinbruchbesitzern verschont blieben. Es bleibt möglicherweise ein Eindruck von Verwirrung, aber zumindest hat man den Beweis – sofern es diesen überhaupt noch bedarf – dass auch das Delta einst Städte und Tempel besaß, die den Vergleich mit jenen des Tales nicht zu scheuen brauchten.

Mansurah, »die Siegreiche«, liegt im Herzen des Deltas und wurde zur Zeit der Kreuzzüge gegründet. Hier weist man Fremde auf das Haus Ibn Lokmans hin, das für Ludwig IX. während seines unfreiwilligen Aufenthaltes im Jahre 1250 als Gefängnis gedient haben soll – will man der Überlieferung Glauben schenken. Man erzählt sich außerdem, die blonden Kinder, auf die man in Mansurah bisweilen trifft, seien entfernte Nachkommen der Kreuzfahrer oder auch der napoleonischen Soldaten. Eine nette Geschichte ohne den geringsten Beweis.

Weiter den Nilarm entlang, erreicht man nicht weit von den brackigen Wassern des Menzaleh-Sees Damietta/Dumjat, das seine Glanzzeiten während der Kreuzzüge erlebte. Damietta ist das östliche Pendant zu Rosetta, war einst ebenfalls ein florierender Handelshafen, und folgerichtig findet man die selben hohen Behausungen mit den malerisch durchbrochenen Fenstern wieder. Die traditionelle Kleidung der Menschen, vor allem der Fischer, unterscheidet sich grundlegend vom übrigen Ägypten: im Straßenbild finden sich nicht mehr die weiten Galabias, sondern an den Waden geraffte Pluderhosen. Falls Sie genug Kulturtourismus hinter sich haben, gilt es zu bedenken, dass der Strand von Ras al-Bar alle sommerlichen Annehmlichkeiten bietet, von denen im übrigen auch viele Städter profitieren.