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Verkehrsstaus

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Die Kairoer Verkehrsstaus

Nie wurde vom Staat oder der Stadtverwaltung ein umfassender Flächennutzungsplan
erstellt, um der anarchischen Entwicklung der Stadt Einhalt zu gebieten, sie
zu bremsen oder wenigstens zu leiten und einzudämmen. Nach einer geraumen Zeit
der Stagnation unter Nasser setzte die Immobilienspekulation mit der Infitah
unter Anwar al-Sadats zum Höhenflug an. Wieviele Gebäude und Villen, die Zeugnis
von der Architektur des 19. und des frühen 20. Jhs mit seiner sonderbaren Stilmischung
aus Barock, italienischer Neorenaissance und Jugendstil ablegten, wurden zugunsten
von Hochhäusern ohne jeden architektonischen Anspruch geopfert? Aber wie könnte
man auch angesichts der Bodenpreise widerstehen, eine alte Villa durch ein Gebäude
mit zwanzig Stockwerken zu ersetzen, wenn man weiß, dass der Mehrwert enorm sein
wird?

Als Folge der nichtvorhandenen Stadtplanung sind Staus zur Plage der Einwohner
geworden, die durchschnittlich mehrere Stunden in ihren Autos oder in öffentlichen
Verkehrsmitteln zubringen. Die Busse, an denen Menschentrauben hängen, reichen
bei weitem nicht aus. Die Nokta, Ausdruck ägyptischen Humors, erklären die Busbenutzung
zu einem Abenteuer: abgerissene Knöpfe sind da noch das geringste Übel. Man
versteht, weshalb das Hauptobjekt des Begehrens der kleinen und mittleren Bürger
ein eigenes Auto ist. Vor Ort gekauft oder importiert (daher die saftigen Zölle,
aber auch der Aderlaß wertvoller Devisen), haben Tausende von Fahrzeugen den
Fuhrpark derart anwachsen lassen, dass man sich in den achtziger Jahren entschloß,
sämtliche Hauptverkehrsstraßen doppelstöckig und mitten in der Stadt gigantische
Autobahnkreuze anzulegen. Das Problem wurde nicht gelöst, sondern vertagt. Im
Herbst 1987 wurde eine von Frankreich gebaute und die alten, oberirdisch verlaufenden
Linien verbindende Untergrundbahn eröffnet, die ebenfalls die Geißel der Staus
eindämmen sollte. Aber kann man wirklich auf eine Entkrampfung der Verkehrssituation
hoffen? Die Stadt breitet sich auf einer Länge von über fünfzig Kilometern aus,
im Süden das Industriegebiet Heluan, ständig von einer dicken grauen Wolke verhängt,
und das grüne Ausländer-Wohnviertel von Maadi. Im Norden das 1905 von Baron
Empain in der Wüste gegründete Heliopolis mit seinen Gebäuden im maurischen
Stil und seinen extravaganten Villen, darunter eine Nachbildung des Tempels
von Angkor. Kurz und gut, lediglich um drei Uhr morgens oder während der Iftah,
einer Fastenpause an einem Ramadan-Abend, kann man Kairo durchqueren, ohne im
Stau stecken zu bleiben.

Der extremen Bevölkerungsdichte entstammen auch die übrigen Probleme. Lange
Zeit reichte der Wasserdruck nicht aus, um die oberen Stockwerke der Häuser
mit Wasser zu versorgen; die Telefonzentralen waren überlastet, die Abwasserkanäle
ebenfalls. Nach und nach wurden die Kanalisation und das Telefonnetz erneuert,
aber eine städtische Müllabfuhr existiert praktisch nicht. Den Abtransport der
Abfälle besorgt, unabhängig von der Stadtverwaltung, eine Art Bruderschaft:
die Müllmänner durchstreifen Kairo mit ihren Eselskarren, auf denen sich der
von Kindern mit bloßen Händen gesammelte Müll türmt, der später sortiert und
weiterverkauft wird. Diese Menschen werden fast wie Rechtlose behandelt, obwohl
sie nicht schlecht verdienen. Sie hausen auf ihrem Arbeitsplatz, den Müllkippen,
die einen ekelerregenden Gestank verströmen. Hier hat sich Schwester Emmanuelle
niedergelassen, um die Lebensbedingungen dieser Menschen zu verbessern und ihnen
ein wenig Menschenwürde zurückzugeben.