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Ein anderes Ägypten

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Das Delta, oder: Auf unbekannten Pfaden

Wo die Horde der Jahrhunderte vorüberzog.
Saint-John Perse

Ein anderes Ägypten

Wir sind den Strom hinunter- und wieder hinaufgefahren oder umgekehrt. Wir haben die altbekannten Eindrücke in uns aufgenommen: das enge, von Wüste begrenzte Tal, das Blau des Himmels über den massigen Pyramiden, die den Jahrhunderten trotzenden Wächterkolosse der Tempel, die hellen Farben der bemalten Gräber, die Hektik Kairos und die Nostalgie Alexandrias. Ist das etwa alles, was Sie suchen? Nehmen Sie nichts anderes mit nach Hause? Suchen Sie nicht nach weiteren, individuelleren Erinnerungen: einem veränderten Licht, einem Himmel voll Wind und Regen? Im Delta nimmt dieses verkannte Ägypten, das nicht den Stereotypen entspricht, Gestalt an.

Nördlich von Kairo breitet es sich fächerförmig aus: eine weite Ebene, von den Mündungsarmen des Nils gegliedert, von Kanälen durchzogen, die der Schiffahrt und der Bewässerung dienen. Nur einige antike Koms, die bisweilen von modernen städtischen Wohnbezirken überragt werden, brechen die Horizontalen der Landschaft auf. Eine reiche Region, deren Boden intensiv bewirtschaftet wird, dicht bevölkert von Menschen, die in den sich rasch ausbreitenden Dörfern und Städten wohnen.

Die Baumwollfelder, Gemüsebeete, Orangen-, Zitronen-, Mandarinen- und Mangohaine geben ein grünes Bild ab, je nach Saison von den unterschiedlichen Farben der Bäume und Blumen durchsetzt. Hohe Eukalyptusbäume, manchmal auch Trauerweiden, beschatten die Straßen entlang der Kanäle; Palmengruppen unterbrechen hie und da die Eintönigkeit. Auf einmal erkennt man von weitem, mitten in der Landschaft, das einsame, weiße, gespannte Segel einer Feluke, auf einem unsichtbaren Kanal vorüberziehend.

In Küstennähe sind großflächige Seen vom Mittelmeer durch sandige Landzungen abgetrennt, entvölkerte Gebiete voller Sumpf und Dickicht, die sich vorzüglich zum Fischen eignen: Mariut, Edku, Borollos, Menzaleh, so heißen diese seltsamen, wilden Landstriche, die an die französische Camargue, das andere mediterrane Mündungsdelta erinnern. Eine Vielzahl von Vögeln lebt hier: Reiher, Flamingos, Pelikane und andere Stelzvögel, nur die Ibisse sind verschwunden. Allmählich nimmt die Oberfläche der Seen ab, bedingt durch die Ablagerungen der Flüsse. Die versalzenen Böden, die man früher brachliegen ließ, wurden nach und nach wieder einer Bewirtschaftung zugeführt, und der ehemals karge Teil des Deltas wirkt heute freundlicher.

Auch das Klima unterscheidet sich hier von den Verhältnissen im übrigen Ägypten: im Sommer ist es sehr heiß und ausreichend feucht, im Winter dagegen schlägt der mediterrane Einfluß mit übermäßigen Regenfällen, starken Winden und vergleichsweise niedrigen Temperaturen durch. Der Himmel ist häufig bedeckt und bewegt, was eher an den Himmel über Nordeuropa denn an jenen über dem tropischen Ägypten erinnert.