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Zeugnisse moderner Architektur

Sao Paulo ist verständlicherweise nicht wegen seiner Schönheit oder gar historischen Bausubstanz berühmt. Glaubt man den Einheimischen, dann überdauert hier ein Gebäude nicht einmal ein Menschenleben. Die molochartige Stadt ist in einem ständigen Umbruch begriffen, sie zerstört und errichtet sich ständig neu. Man muß Sao Paulo halt als moderne Megalopole auffassen, sie besuchen wie einen fremden Planeten.

Die Anhäufung von mehr oder minder kühnen Wolkenkratzern, besonders um die Praça da Bandeira, die Praça da República mit dem Italia-Gebäude, das Viaduto do Chá (um sich von dem höllischen Verkehr die Sinne benebeln zu lassen) und die Avenida Paulista herum erschreckt. Wer schon mal an Ort und Stelle ist, kann noch das Hauptwerk Niemeyers, das – zumindest für die damalige Zeit – futuristische Copan-Gebäude auf der Avenida Ipiranga, Nähe Praça da República, bewundern.

Die Avenida Paulista vereinigt in sich alle möglichen Definitionen Sao Paulos. Riesig, ja maßlos zerschneidet sie die Innenstadt. Ihre Ränder in Gestalt von Hochhauswällen, in gewagter Architektur, bestimmen das Stadtbild. Darunter befindet sich das MASP (Kunstmuseum; s. unten im Kapitel »Museen«), das auf vier zerbrechlich wirkenden Pfeilern ruht. Man stößt auch auf ein paar alte vom Bulldozer verschonte Kolonialgebäude, die weiterhin an die einstige Herrschaft der »Kaffeebarone« erinnern. Teure Geschäfte und Restaurants im Trend der Zeit säumen die Gehwege.
Memorial da América Latina (Lateinamerika-Denkmal): Av. Mario de Andrade 664. U-Bahn: »Barra-Funda«. Hält seine Pforten dienstags bis freitags von 13.30 bis 22 Uhr und am Wochenende von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Multikulturelles Zentrum mit Ausstellungssälen, Bibliothek und Auditorium. Für die Architektur zeichnete auch Niemeyer verantwortlich. Hier ist einiges los; man werfe auch ein Auge auf den »Pavillon der Kreativität« (Kunsthandwerk und lateinamerikanische Folklore).

Kurzer Streifzug durch die Innenstadt

Der Fremdling sollte gar nicht erst den Versuch wagen, mit dem Auto auf Erkundungsfahrt zu gehen: entweder das Benzin geht aus, bevor man auch nur einen Parkplatz gefunden hat, oder man verfährt sich dermaßen, dass auch Geübte die Nerven verlieren ...

Letztendlich geht man dann gern zu Fuß, was auch noch den Vorteil bietet, auf verborgene Winkel von fast menschlicher Dimension stoßen zu können.
Praça da República: üppiger Park, der einige »Hippie«-Handwerker beherbergt und zum Verschnaufen einlädt. Banken und Reisebüros prägen das Stadtviertel. Rundherum überbreite Straßen, allesamt spätnachmittags verstopft. Gleich nebenan erhebt sich der nach allen Seiten hin abgerundete Italiaturm, übrigens der höchste seiner Art in Sao Paulo.

Gegenüber der Praça da República eine sich über die Straßen Rua 24 de Maio und Barao de Itapetininga hinziehende Fußgängerzone. Zur Glanzzeit Sao Paulos gehörte die letztgenannte zu den mondänsten Straßen, wo man vor Auftauchen der Rieseneinkaufszentren – jene scheinen dem Effektivitätsstreben der modernen Hausfrau eher zu entsprechen – die schicksten und teuersten Boutiquen vorfand. Längst haben sich wieder volkstümlichere Läden in der Straße breitgemacht; mit Ausnahme der Nr. 234, dem renommierten Schuhgeschäft Sutori´s, der letzten Trutzburg der Bourgeoisie in diesem Viertel. Aus Rücksicht auf die Armen sind die Preise der im Schaufenster ausgestellten Schuhe nicht angegeben. Sie entsprechen ungefähr mehreren Monatsgehältern eines brasilianischen Arbeiters. Am Ende der Rua 24 de Maio das Stadttheater, Anno 1903 erbaut.

Über den Viaduto do Cha gelangen wir auf Schusters Rappen zu einem weiteren belebten Ort: der Praça da Sésamt zugehöriger Fußgängerzone. Die dem gotischem Stil nachempfundene Kathedrale ist jüngeren Datums; ihr Bau wurde erst 1914 in Angriff genommen. Der nördliche Teil des Platzes ist genau jene Stelle, von der ausgehend sich Sao Paulo entwickelt hat: der Pátio do Colégio (Jesuitenkolleg) mit seiner 1554 errichteten Kapelle. Einer der Stadtgründer, der Jesuitenprediger José de Anchieta, wird mit einer Statue geehrt. Er bereiste und missionierte die gesamte östliche Küste des Landes und spielte in der offiziellen Geschichtsschreibung eine entscheidende Rolle bei der Versöhnung zwischen Indianern und Portugiesen. Früher war der Platz von einer gewaltigen Verteidigungsmauer umgeben, heute hat er sich zum beliebten Treffpunkt der Paulistas sowie zu einer Stätte politischer oder gewerkschaftlicher Demonstrationen gewandelt. U-Bahn-Station: »Sé«. Weiter westlich, am Largo do Sao Francisco, rechter Hand der Juristischen Fakultät, erheben sich zwei schöne Kirchen aus der Kolonialzeit. Eine davon, die Igreja Sao Francisco (1644), weist portugiesische Tafelbilder und ikonographisch bemerkenswerte Figurengruppen auf.

In anderen Viertel Sao Paolos

Bixiga-Viertel: in Bela Vista, südlich der Avenida 9 de Julho. Ein alter italienischer Stadtteil, eine Art von auf wunderbare Weise vor der Abrißbirne errettetem Dörfchen, um die Straßen Sao Antônio und 13 de Maio herum angeordnet. Eigentlich besteht die Besonderheit nur in der ausgeprägten Stimmung; vor allem abends lohnt es sich, die belebten und netten Cafés und Restaurants abzuklappern. Das lokale Kulturleben bietet Buchhandlungen und Programmkinos, die Filmfestivals (z.B. mit Streifen von Resnais oder Godard) veranstalten. Oberhalb der Rua 13 de Maio ruft das Kirchlein Santa Achiropita alle Italiener des Viertels zur Sonntagsmesse. Alljährlich im September wird die Straße gesperrt und ein stadtbekanntes Fest gefeiert.

Der hohe Rundturm des Hilton dient als Anhaltspunkt, um den Rotlichtbezirk der Stadt auszumachen, wo Stundenhotels, düstere Nachtclubs und Prostitution zu Hause sind. Nachts ist die Gegend um die Straßen Major Sertôrio, Bento Freitas und General Jardim stark belebt. Auf der Avenida Sao Joao tummeln sich Transvestiten. Spät am Abend erinnert die Kreuzung Sao Joao-Ipiranga vage an den Times Square. Hier nahm auch in den dreißiger Jahren die Entscheidung Gestalt an, Sao Paulo eine »vertikale Entwicklungsachse« zu verleihen: das Alte hatte zu verschwinden, um dem Neuen, insbesondere dem Hohen, den Wolkenkratzern also, Platz zu machen. Ein Bewußtseinswandel zeichnet sich erst in jüngster Zeit ab: Historisches wird eher als früher bewahrt, alte Strukturen werden geachtet. Dabei ist es keineswegs so, als habe die moderne Bautätigkeit in Sao Paulo und andernorts keine künstlerischen Werte hervorgebracht. Die Lösung städtebaulicher Probleme scheint eher auf einen Kompromiß zwischen Alt und Neu herauszulaufen, als auf den Erhalt des Überkommenen.