Ende des 20. Jhs.
Die jüngste Entwicklung
Modernes Brasilien
Wirtschaft und Politik
18.9.1990: in Sâo Paulo (Stadtteil Purus) werden in einem Massengrab 1.500 Leichname aus der Zeit der Folterungen 1970-74 entdeckt.
15.3.1990: Amtsantritt Collors, der ein ehrgeiziges wirtschaftliches Reformprogramm in Angriff nimmt (Inflationsbekämpfung, Einfrieren von Bankguthaben, Verwaltungsreform, Zusammenarbeit mit dem IWF, Steuer- und Haushaltsreform, Privatisierung von Staatsunternehmen, Investitionsförderung, Liberalisierung der Außenwirtschaft usw.). Bald zeichnet sich allerdings ein Scheitern der Maßnahmen ab.
1991 (26. März): Brasilien begründet mit Argentinien, Paraguay und Uruguay den »Gemeinsamen Markt des Südens« (Mercosur), dem 1996 Chile, 1997 Bolivien und 2003 Peru als assoziierte Staaten beitreten.
1991 (5. Oktober): Präsident Fernando Collor de Mello (* 1949) erklärt den Staatsbankrott. Horrende Staatsverschuldung, anhaltende Wirtschaftskrise, Rezession, hohe Inflation. Ein Jahr später wird er aufgrund einer Korruptionsaffäre von seinem Amt suspendiert und tritt am 29. Dezember zurück. Sein Nachfolger wird Itamar Franco (* 1930).
1991:die südamerikanische Choleraepedemie greift vom Amazonasbecken her auf Brasilien über und bedroht zunächst die 25.000 Indios vom Stamm der Tikunas am Solimoes, begünstigt durch ein Fehlen minimaler hygienischer Vorkehrungen (im Bundesstaat Rondônia sind z.B. nur 0,4 % der Haushalte an die Kanalisation angeschlossen).
Februar 1991:die Geldentwertung steigt trotz rigider Stabilisierungspolitik auf 23 %; seit Collors Amtsantritt ging die Industriebeschäftigung um 14 % zurück.
4.4.1991:Milliardenbetrug in der staatlichen Sozialversicherung
12.10.1991:neuerliche Brasilienreise des Papstes
18.1.1992:Mißwirtschaft und Korruption führen zur Entlassung zweier Minister
20.3.1992:der Staatssekretär für Umweltfragen, Lutzenberger, wird nach einer kritischen Stellungnahme zum Verhältnis zwischen Ibama und Holzunternehmen entlassen.
Juni 1992:aufwendige Umweltkonferenz der UNO in Rio de Janeiro (II. Weltkonferenz für Umweltschutz und Entwicklung / ECO 92).
14.7.1992:Brasilien hält am Weiterbau seines Atomkraftwerks mit deutscher Hilfe fest.
1992: Fernando Collor de Mello (Nat. Erneuerungspartei), der nach wochenlangen Massenprotesten in der Bevölkerung nach einem Amtsenthebungsverfahren wegen Bestechlichkeit vom Amt suspendiert werden soll, tritt zurück. Seine Nachfolge tritt am 29.12. Interimspräsident Itamar Augusto Franco an, ein Vertreter des überkommenen brasilianischen Nationalismus´, der die Bekämpfung von Inflation und Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt seiner Politik stellt. - Gleichzeitige Inflation und Stagnation (Stagflation), zunehmende Arbeitslosigkeit und Verarmung weiter Teile der Bevölkerung kennzeichnen die wirtschaftliche Lage Brasiliens. - Beendigung der Schuldenkrise nach Umschuldungsvereinbarungen mit den betroffenen ausländischen Gläubigerbanken.
22.12.1992:Urteilsverkündung im Amtsenthebungsverfahren gegen Collor: dem ehemaligen Präsidenten werden für acht Jahre alle politischen Rechte entzogen.
21.4.1993:bei einer Volksabstimmung über Staatsform und Regierungssystem entscheiden sich 71 % der Brasilianer für die Republik und 57 % für das Präsidialsystem.
Juli 1993:der Mord an Straßenkindern vor der Candelária-Kirche in Rio rüttelt die brasilianische Öffentlichkeit auf; - die brasilianische Regierung duldet weiterhin den illegalen Einschlag von Edelhölzern in Indianergebieten.
Aug. 1993:Einführung des Cruzeiro Real (CR$) durch Streichung von drei Nullen beim bisherigen Cruzeiro; - das Massaker an siebzig Yanomami-Indianern erregt die Weltöffentlichkeit.
Okt. 1993:Debatte über eine Verfassungsreform; Rücktritte und Anklageerhebung gegen Politiker und Beamte infolge von Korruptionsskandalen.
1994: Brasilien bindet Löhne und Preise an einen neuen Preisindex (»Reale Werteinheit«/URV). Damit soll die Geldentwertung von monatlich (!) 40 % bekämpft und die Volkswirtschaft stabilisiert werden. - Erleichterung des Exports brasilianischer Waren in die USA. - Der staatliche brasilianische Erdöl-Monopolist PETROBRAS entdeckt ein Erdölfeld in der Bucht von Campos. - Indianer sperren im Bundesstaat Roraima Straßen, um Garimpeiros an einem Eindringen in ihre Rückzugsgebiete zu hindern. Polizeieskorten machen den Fahrzeugen der Garimpeiros den Weg frei. - Der progressive Flügel der katholischen Kirche Brasiliens um Kardinal Arms von der Erzdiözese Sâo Paulo erlebt durch Ernennung konservativer Bischöfe eine weitere Schwächung. - In den Armutsvierteln der südostbrasilianischen Millionenstädte breitet sich die Cholera in beängstigendem Tempo aus; betroffen sind alle Bundesstaaten (besonders Ceará, Paraiba und Pernambuco) mit Ausnahme des Mittelwestens. - Die brasiliansche Fußballnationalmannschaft holt sich nach Elfmeterschießen den Weltmeistertitel im Endspiel gegen Italien. - Der Cruzerio Real wird durch eine neue Landeswährung, den Real (R$), ersetzt. Dessen Kurs ist an den US-Dollar gekoppelt.
3.10. 1994: Fernando Henrique Cardoso wird im ersten Wahlgang mit 46 % zum neuen brasilianischen Präsidenten gewählt; »Lula« da Silva erreicht nur 23 %.
1995: die brasilianische Regierung forciert die Privatisierung von Staatsbetrieben, ohne ein Anwachsen des Schuldenberges verhindern zu können. Der neoliberale Wirtschaftskurs verstärkt zudem das Problem der Arbeitslosigkeit.
9.8.1995: Massaker an dreizehn Landarbeitern in Corumbiara
Okt. 1995: Brasilien ist Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse
9.1.1996: Dekret Cardosos, wonach »Interessierte« gegen offizielle Markierungen von Indianerreservaten Einspruch erheben bzw. Entschädigung verlangen können; zu befürchten steht, dass die bisherigen 200 Reservate für rund 300.000 Ureinwohner den Interessen der Holz- und Bergbauindustrie geopfert werden könnten.
17.4.1996: 25 Landarbeiter/-innen werden in Eldorado de Carajás von der Militärpolizei ermordet.
30.4.1996: Verurteilung eines Polizisten wegen Beteiligung an der Ermordung von Straßenkindern zur Höchststrafe von 30 Jahren Gefängnis; Cardoso kündigt an, die Straffreiheit von Todesschwadronen nicht länger dulden zu wollen.
Juli 1996: Dekrete zum Schutz des Regenwaldes: Rodungen zur Gewinnung von Ackerland sollen begrenzt, die Überwachung per Satellit eingeführt werden.
17.9.1996: Bundeskanzler Kohl besucht in Begleitung deutscher Unternehmer Brasília, wo er u.a. mit dem brasilianischen Präsidenten zusammentrifft und drei Abkommen zur Förderung von Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Brasilien unterzeichnet.
Okt./Nov. 1996: die Kommunalwahlen bringen trotz Stimmenzuwächsen für die Oppositionsparteien wie der Arbeiterpartei PT letztlich eine Unterstützung der Regierungsparteien. So eroberte die Sozialdemokratische Partei des brasilianischen Präsidenten im ganzen Land 910 Bürgermeisterämter und steigerte sich somit um fast 80 % gegenüber den letzten Wahlen. In den großen Städten wie Sâo Paulo und Rio de Janeiro setzten sich jeweils konservative Kandidaten durch.
16.10.1996: Ankündigung eines neuen Programms gegen Arbeitslosigkeit einer neuen Bildungspolitik für Arbeitnehmer, die verstärkt zu Facharbeitern ausgebildet werden sollen.
2003 (Januar): Der Populist und Führer der Arbeiterpartei (PT) Luiz Inácio Lula da Silva (* 1945) übernimmt nach einem überwältigenden Wahlsieg das Präsidentenamt.
2004: Brasilianische Regierungsvertreter teilten am 4. März 2004 mit, dass sie sich, wenn gewünscht, mit 1.100 Soldaten an einer UN-Truppe für Haiti beteiligen könnten. Brasilien war damit das erste Land, das ein solches Angebot unterbreitet. Der brasilianische Verteidigungsminister José Viegas Viegas legte Wert auf die Klarstellung, dass der militärische Einsatz der Brasilianer in Haiti ganz anderer Natur sei als jener der USA in Irak.