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Deutsche / Brasilianer

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Deutsche und Brasilianer

Uralte Beziehungen

Dass die Brasilianer deutschen Touristen meist ohne besondere Vorbehalte begegnen, hat historische Gründe: in den Kriegsjahren von 1939 bis 1945 nahm Brasiliens Exportorientierung nach der Kaffeekrise kriegsbedingt wieder zu und Brasilien war von demokratischen Strukturen weit entfernt. Außerdem hatte Präsident Vargas seine umfassenden innen- und außenpolitischen Vollmachten 1937 ja mit einer kommunistischen Erhebung gerechtfertigt. Damals galt Brasilien als klassische Diktatur und von einer bürgerlichen Demokratie westlichen Zuschnitts, die einen früheren Kriegseintritt hätte moralisch erforderlich machen können, konnte keine Rede sein. Erst auf Drängen der USA, die im Nordosten, auf der Insel Fernando de Noronha, Stützpunkte für ihre Schiffe und Flugzeuge einrichteten, erklärte Brasilien am 21. August 1943 Deutschland, Italien und Japan den Krieg. Den Vorwand lieferten deutsche U-Boote, die in brasilianischem Hoheitsgewässern brasilianische Schiffe angegriffen und versenkt hatten. Bis sich ein Expeditionskorps unter General Mascarenhas de Morais nach Italien auf den Weg machte, sollte noch einmal ein Jahr vergehen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als Europa in Schutt und Asche lag, ordnete sich Brasilien als »Entwicklungsland« in die US-amerikanische Interessensphäre ein, um während des Kalten Krieges ganz auf antikommunistischen Kurs zu gehen (Verbot der brasilianischen KP, Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur UdSSR).

Deutsche Siedlungen in Brasilien

Geprägt wurde und wird das Deutschlandbild der Brasilianer gewiß auch von den tüchtigen deutschstämmigen Einwanderern im Südosten des Riesenlandes. Kaisers Pedros Werber hatten im von Hunger, Arbeitslosigkeit und politischer Unterdrückung geprägten Deutschland ganze Arbeit geleistet, und so entstand 1824 die erste deutsche Siedlung in Rio Grande do Sul: Sâo Leopoldo, benannt nach Kaiserin Leopoldine aus dem Hause Habsburg. Da den Deutschen Sklavenarbeit fremd war – außer für sich selbst – krempelten sie – ganz so, wie man es von ihnen erwartet hatte – die Hemdsärmel hoch und bestritten ihren Lebensunterhalt, indem sie das Land urbar machten und planmäßig besiedelten. Nebenher sicherten sie so die bis dato nur dünn besiedelte Südflanke des Kaiserreiches, was von einer nicht zu unterschätzenden strategischen Bedeutung war, und beteiligten sich zu Beginn des 19. Jhs. auch an der Guerra Cisplatina gegen Argentinien.

Zusammen durch schwere Zeiten

Die Teutos blieben in ihren Dörfern unter sich, vermehrten sich wacker – neun Kinder pro Familie war guter Durchschnitt – pflegten Sprache (Dialekt) und Brauchtum ihrer Heimat und dachten nicht daran, sich im Vielvölkerstaat assimilieren zu lassen. Dies machte sie allerdings – im Gegensatz zu Italienern, Portugiesen oder Spaniern – immer wieder verdächtig, besonders dann, wenn es irgendeiner politischen Interessengruppe in den Kram paßte. Die deutschen Siedler mußten in den dreißiger Jahren auch den Argwohn der in ganz Mittel- und Südamerika auf Hegemonie bedachten USA erregen, die im Süden Brasiliens schon die braunen Kolonnen Hitlers aufmarschieren sahen. Gab sich nicht der brasilianische Innenminister Filinto Müller offen als Nazi-Freund zu erkennen, und handelte es sich bei Brasilien nicht um eine Rechtsdiktatur mit etlichen faschistischen Merkmalen? Zudem zeichneten sich die Teutos nicht gerade durch eine distanzierte Haltung gegenüber den Nationalsozialisten aus: Schlagworte wie »Großdeutschland«, »Schmach von Versailles« und »deutsche Rasse« fielen auf fruchtbaren Boden. Richtig Fuß zu fassen vermochte die NSDAP in Südbrasilien aber nie.

Wer sich heute in den deutschsprachigen Siedlungsgebieten Santa Catarinas, Rio Grande do Suls oder Paranás umschaut, wird das beklemmende Gefühl nicht los, hier habe sich eine Art muffigen Deutschtums erhalten, das man in dieser reinen Form jenseits des Atlantiks kaum noch – oder erst seit jüngster Zeit wieder – vorfindet. Seit den neunziger Jahren machen sich hier übrigens separatistische Bestrebungen breit: z.B. in Gestalt der selbsternannten »Bundesrepublik Pampa Gaúcho« des deutschstämmigen Brasilianer Irton Marx aus der Provinzstadt Santa Cruz do Sul.

Für die in Südamerika untergetauchten Naziverbrecher, man denke nur an den Fall des Auschwitzer KZ-»Arztes« Josef Mengele, dürfte inzwischen die biologische Zeituhr abgelaufen sein. Bleibt zu hoffen, dass sich das Deutschlandbild der Brasilianer in Zukunft an erfreulicheren Werten wird orientieren können. Großkonzerne wie VW do Brasil, Mercedes oder die deutsche Atomwirtschaft eignen sich kaum als Sympathieträger für das neue, demokratische Deutschland: die Autoschmiede aus Wolfsburg etwa profitierte jahrzehntelang von den frühkapitalistischen, paternalistischen Produktionsbedingungen unter der Militärdiktatur – Gewerkschaften hatten im VW-Werk von Sâo Bernardo do Campo bei Sâo Paulo nichts zu suchen, Arbeiter wurden bei schlechter Wirtschaftslage ohne viel Federlesenes auf die Straße gesetzt, um später gegen ein niedrigeres Gehalt wieder eingestellt zu werden usw. – und gratulierte noch 1977 dem chilenischen General Pinochet zum Jahrestag seines blutigen Militärputsches. Deutsche Industrie- und Bankenkonzerne agieren überall dort an der Spitze, wo es um die profitverheißende Plünderung der natürlichen Ressourcen Brasiliens geht, zu denen natürlich auch die billigen Arbeitskräfte gerechnet werden, um sich nach ihren schmutzigen Geschäften auch noch als Entwicklungshelfer feiern zu lassen.