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Stadtviertel in Rio

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Rio und seine Stadtviertel

Cariocas und Touristen

Körperkult am Strand

Dass Rio aus einer Menge verschiedener, streng voneinander abgegrenzter Viertel mit eigenem ausgeprägtem Charakter besteht, liegt an den das Stadtgebiet gliedernden Morros. Hier eine kurze Vorstellung der wichtigen Viertel; in unserem Kapitel »Sehenswürdigkeiten« gehen wir dann ausführlicher auf Routen und Baudenkmäler ein.

Centro: betont modernes Viertel mit nur spärlichen Reminiszenzen an die Vergangenheit. Die beiden Hauptverkehrsadern, die Avenida Vargas und die Avenida Branco, säumen Hunderte von Hochhäusern, Behörden, Geschäfts- und Handelszentren. Tagsüber ist der Verkehr hier unerträglich, Parken ein Ding der Unmöglichkeit, was übrigens zur Entstehung eines neuen Jobs geführt hat: Aufpassen auf unerlaubt parkende Autos! Im Centro herrscht reger Betrieb: die dichtgedrängte, dahineilende Menge strömt auf die Straßen, in die Restaurants, Bars und Parks. Kaum zu glauben, aber dieses monströse Zentrum hat sich tatsächlich ein paar grüne »Inseln« bewahrt, die gleichsam als »Sauerstoffballons« das physische Überleben der Cariocas gewährleisten. Abends leert sich das Viertel jedoch vollständig und bietet den nicht minder faszinierenden Anblick einer Geisterstadt.

Flamengo: Beginn der südlichen Zone. Die Grundstücksspekulation hat hier noch nicht alle Strukturen zerstört. Und so blieben der Nachwelt von diesem bürgerlichen Viertel ansehnliche Zeugnisse vergangener Architektur erhalten; sowohl prachtvolle Einzelgebäude als auch ganze Straßenzüge mit wohlhabenden Gesichtzügen. Entlang der Küste sind die Mieten horrend; im Stadtinneren, wo es zahlreiche einfachere Straßen gibt, jedoch schon erschwinglicher. Von den U-Bahn-Stationen Gloria bis Largo do Machado reihen sich Cafés, Snack-Bars und Restaurants aneinander; die Gegenden mit Hotels bleiben bis spät in die Nacht belebt. Daher bietet sich Flamengo für die Unterbringung von Touristen geradezu an: es liegt nämlich genau zwischen Centro und Copacabana. Sonntags bleibt eine der breiten Avenuen am Meer für den Verkehr gesperrt und wird gerne von Familien für Spaziergänge genutzt.

Botafogo: lange Zeit das eleganteste Viertel Rios, heute eine Spur dekadent. Alte Gebäude im Pariser Stil und Straßen mit herrschaftlichen Villen prägen das Bild. Nur wenige Unterkunftsmöglichkeiten. Zahlreiche Restaurants rund um die U-Bahn-Station Botafogo und im gesamten Bereich zwischen der Avenida Voluntários da Pátria und dem Morro de Saudade. Seit einiger Zeit findet man hier die besten Bars der Stadt. Von Botafogo aus hat man die schönste Frontalansicht von der Cristo Rei-Statueauf dem Corcovado.

Copacabana: am Ausgang des Cintra-Tunnels erscheint endlich das Gelobte Land, jener Strand, dessen Name sicher das erste portugiesische Wort des Reisenden war. Als vor kaum fünfzig Jahren die Copacabana noch eine friedliche, vornehme Wohngegend war, eröffnete der Bau des Copacabana Palace eine unruhige Ära baulicher Erneuerungen und verlieh ihr das heutige Gesicht. Zwei Hauptachsen, die auf ehemaligem Meeresboden verlaufende Avenida Atlântica unddie besonders belebteundgeschäftige, im Berufsverkehr jedoch unerträgliche Avenida Copacabana, durchziehen das Viertel. Rund herum habt sich eine Reihe schwerfälliger, teils richtiggehend häßlicher Hochhäuser angesiedelt. Die Bewohner dieser Straße gehören der Mittelklasse an, sind Freiberufler, Lehrer usw. Dies hindert jedoch nicht die »Immigranten« aus der nördlichen Zone, sich hier in winzig kleinen Wohnungen einzunisten. Die Elendsviertel auf den Morros, welche die Buch beherrschen, erinnern zudem ständig an die Armut des einfachen Volkes. Das Nebeneinander dieser beiden Welten stellt sicherlich eines der ungewöhnlichen Phänomene der Copacabana dar. Die ganz im Süden gelegene Favela do Morro de Cantangelo, keine dreihundert Meter vom Strand entfernt, scheint die Reichen geradezu herausfordern zu wollen. In der Tat weist diese Situation auch eine moralische Seite auf: über ihre erbärmlichen Lebensverhältnisse hinaus genießen die Armen die schönste Aussicht über die gesamte Bucht, ohne spürbare Belästigung durch Autoabgase und sozusagen kostenlos, denn sie zahlen keine oder nur eine ganz geringe Miete. Somit umgehen sie die horrenden Kosten, die sonst mit dem Leben in Copacabana verbunden sind, was ihnen die lokale Bourgeoisie natürlich ein wenig übelnimmt. Tagsüber trägt diese Mischung aus Favelados und der bessergestellten Stadtbevölkerung zum besonderen Charme der Copacabana bei.

Im »Winter« – d.h. in den Monaten Juni, Juli und August – beschränkt sich das Nachtleben auf Restaurants, Bars, Kneipen und bestimmte Straßenzüge. Das gesellschaftliche Leben ist dann weit weniger aufregend als in Flamengo.

Obacht: die Copacabana samt Nebenstraßen zählt zum bevorzugten »Jagdrevier« der Taschen- und Trickdiebe!

Ipanemaund Leblon:sehr wohlhabende Viertel mit dem schönsten Strand von Rio. Ipanema wurde durch den Ohrwurm von Vinicius de Moraes (»A Garota de Ipanema«) weltberühmt; es lockt auch zahlreiche Intellektuelle an, die hier die Cafés bevölkern. Man(n) kommt zum Strand, um die gesunden und dezent gebräunten Körper der anmutigen Brasilianerinnen zu bewundern, wobei die Touristen ihre Fantasie eher an den Mulatten und Mulattinen auslassen.

Dass in Brasilien eine andere Körperkultur – man könnte auch sagen: »Körperkult« – herrscht als hierzulande, ist augenfällig. Angeblich erkennt die einheimische Strandfauna Touristen schon allein am Schweißgeruch ihrer T-Shirts. Wer in Rio als Mann (oder Frau!) etwas auf sich hält, stählt Bizeps, Bauchmuskeln, Schenkelstrecker usw. mit religiöser Hingabe und wechselt seine Strandkleidung notfalls stündlich. Auf ein textiles Minimum beschränkte Tangas, Fio dental, also Zahnseide, genannt, weisen übrigens nicht auf besonders lose Sitten hin, wie man als Ausländer glauben könnte. Rollenverständnis und Moralvorschriften bewegen sich in durchaus herkömmlichen Bahnen.

Weiter im Süden breitet sich ein weiter Tentakel aus, der Ipanema vom Thron stoßen soll. Da es hier keine natürlichen Begrenzungen durch Morros gibt, wird gebaut, was das Zeug hält: Quartiere wie Gávea, Sao Conrado und Barra de Tijucaschießen wie Pilze aus dem Boden.

Im Nordenreihensich graue Vororte mit eigentlich recht hübsch klingenden Namen aneinander: Sao Cristóvao, Maracana, Manguinhos, Bomsucesso, Olaria ... Hier wohnen Arbeiter, die ärmere Mittelschicht sowie jene Favelados, die in tottraurige Sozialwohnungen umgesiedelt wurden. Züge bringen täglich Zehntausende von Arbeitern unter menschenverachtenden Transportbedingungen zu ihrer Arbeit in der Stadtmitte. Abends karren dieselben Züge, hoffnungslos überfüllt, mit Menschentrauben auf den Trittbrettern und eingeschlagenen Scheiben, die Pendler wieder zurück. Täglich beenden hier einige Piagente (Passagiere) elend ihr rastloses Leben auf den Gleisen. Seit einigen Jahren hat sich das Verkehrsproblem noch verschärft, vor allem für die armen Bewohner der abgelegensten Vororte. Die Fahrpreiserhöhung von 80 % für Autobusse führte zu heftigen Protesten, und einige Dutzend Busse wurden angezündet. Für manche Familien bedeutet die Erhöhung der Fahrpreise immerhin eine Minderung ihrer finanziellen Mittel um fünfzig Prozent. Die schwindsüchtige Währung verschärft diese unwürdige Situation natürlich noch.