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Schicksal der brasilianischen Indianer

Geschichtlicher Rückblick

Korrigieren wir zunächst unser vorgefertigtes Bild von der »grünen Hölle« Amazoniens: in einem Radius von unter 500 km um Manaus trifft man auf keinen einzigen Indianer. Da die eigentlichen Hausherren am Amazonas nunmehr unter dem »Schutz« der brasilianischen Regierung stehen, muß man zudem mindestens Ethnologe oder bevollmächtigter Journalist sein, um mit ihnen zusammentreffen zu können. Die Mehrheit des amazonischen Volkes stellt das Ergebnis einer intensiven Rassenmischung dar, die sich im Laufe der Jahrhunderte zwischen Kolonisten und Indianern ergab, wodurch sich einige charakteristische Merkmale herausbildeten. Der dem indianischen Volksstamm von der körperlichen Erscheinung her noch am ähnlichsten sehende Typ ist der Caboclo, ein einheimischer Mestize, der am Ufer der Igarapés lebt, jenen die Zuströme des Amazonas verbindenden Flußarme.

Sprechen wir nun von der physischen und kulturellen Ausrottung der Indianer: von Anbeginn der portugiesischen Kolonialisierung wurden sie von den Eroberern unerbittlich verfolgt, da viele Weiße nicht die nötigen Mittel besaßen, um sich schwarze Sklaven leisten zu können. Außer den Massakern brachte die Kolonialisation auch den Tod in Form schrecklicher Krankheiten mit sich – für Organismen, die darauf nicht vorbereitet waren: Grippe und Geschlechtskrankheiten rafften ganze Volksstämme dahin. Die Tuberkulose hingegen stammt nicht aus Europa, sondern wurde 1994 erstmals in einer tausend Jahre alten präkolumbischen Mumie nachgewiesen.

Missionare, bis zu ihrer Vertreibung 1759 überwiegend Jesuiten, vollendeten das Werk, die Eingeborenen Ideologie und Lebensart der Besetzer zu unterwerfen, indem sie den Indianern ihre Religion und ihre völlig unangemessenen Moralvorstellungen aufdrängten. Mit ihrer »Fürsorge« richteten sie mindestens genausoviel Unheil an wie die hemmungslosen Sklavenjäger. Gerne bedienten sie sich der Musik als Vehikel für das Überstülpen der europäischen Kultur: die Indios lernten gregorianische Gesänge oder wurden an Orgel und Cembalo unterwiesen. Besonders toll trieb es ein gewisser Sepp, Pater aus Tirol, im Süden Brasiliens: er brachte seinen Schäfchen sogar das Jodeln bei ...

Man schätzt die Zahl der überlebenden Indianer heute auf ungefähr 90.000. Trotz (oder wegen?) Bildung der FUNAI, einer staatlichen Behörde für Indianerfragen, die eigentlich mit ihrem Schutz beauftragt ist, sind sie noch immer nicht sicher vor fortschreitender Auslöschung. Und daran ändert auch die werbewirksam inszenierte Tour eines Rüdiger Nehberg nichts ...

Hinzu kommt, dass skrupellose Minengesellschaften seit der Entdeckung bedeutender Erzvorkommen auf dem Gebiet der Indianer eine regelrechte Vertreibungs-, wenn nicht sogar Ausrottungspolitik betreiben, indem sie wissentlich für die Indianer tödliche Krankheiten einführen – in gewisser Hinsicht ein bakteriologischer Kleinkrieg. Die Zwangsumgesiedelten finden ihre natürliche Umgebung, wo sie ihren Lebensunterhalt durch Jagd und Fischfang selbständig bestreiten könnten, jedenfalls nicht wieder.

„Integrationsprozeߓ durch „Transamazonica“

Der letzte große Schlag, der den Amazonasindianern zugefügt wurde, bestand in der Eröffnung großangelegter Verkehrsachsen wie der Transamazonica sowie in der Anlage von landwirtschaftlichen Betriebsflächen und ausgedehnten Viehzuchtanlagen (nicht selten in Bundeslandgröße). Die Transamazonica und insbesondere die neue nördliche Perimetral Norte werden den »Integrationsprozeß«, also das Aufzwängen einer fremden Kultur und die Degenerierung, zur Vollendung bringen, indem sie die bis jetzt noch verschont gebliebenen letzten Volksstämme mit der »Zivilisation« in Berührung bringen. Die FUNAI, Machtinstrument in den Händen der industriefreundlichen Regierung im fernen Brasília, unternimmt in Wirklichkeit nichts, um diese Entwickung aufzuhalten. Im Gegenteil: nicht selten müssen Mitarbeiter ihren Hut nehmen, die sich der wahren Probleme bewußt sind und endlich handeln wollen. Es leuchtet ein, dass, wenn derart massive wirtschaftliche Interessen im Spiel sind, guter Wille und schöne Versprechungen gegen die profitversprechende Logik der Bulldozer nichts ausrichten können.

Derweil verlangen die indianischen Völker weiterhin die »Demarkierung indigener Gebiete«, zuletzt im September 1993. Damals weigerte sich Präsident Itamar Franco sogar, die Hunderttausenden von Unterschriften von Indianervertretern entgegenzunehmen, da »es nichts zu sagen gebe«. In einem dem Justizminister überreichten Dokument kündigten die Indianer an, ihre Gebiete in Zukunft selbst abgrenzen zu wollen, da sich die Regierung um die Bestimmungen in der Verfassung nicht schere. Angeblich wegen Mangel an Geldmitteln und anderer fadenscheiniger Begründungen ... Schwerer wiegen dürfte der Druck von Großgrundbesitzern, Bergwerksunternehmen, reaktionären Politikern – u.a. des Gouverneurs von Roraima, Ottomar de Souza Pinto – und Angehörigen des mächtigen »militärischen Sektors«.

Goldsucher gegen Yanomanis

August 1993: ein Blutbad in einem Yanomani-Dorf in Nordostbrasilien – unter den Ermordeten befanden sich vor allem Kinder und Frauen – rüttelt die Weltöffentlichkeit auf. Verantwortlich für diese und frühere Greueltaten sind illegale Goldsucher (Garimpeiros) innerhalb des 94.000 m¨ großen Yanomani-Reservats. Dass die Armee nicht nur tatenlos zusieht, sondern sogar den Eindruck erweckt, als kämen ihr die Morde gerade recht, hat handfeste strategische Gründe, verquickt mit geopolitischen Erwägungen: sie möchte entlang der 11.000 km langen »grünen Grenze« schon seit Jahrzehnten Präsenz zeigen, und dabei wecken die Yanomanis ihren größten Argwohn. Deren Stammesgebiet zieht sich nämlich über die Landesgrenzen hinaus bis nach Venezuela. Die Indianer hüben und drüben könnten ja auf den Gedanken verfallen, sich zu einem unabhängigen Staatswesen zusammenzuschließen ... Und was würde dann aus den im Erdreich schlummernden Bodenschätzen? Nach den Übergriffen der Goldsucher könnte die Militärpräsenz jetzt sogar als Schutzmaßnahme für die Indianer ausgegeben werden. Das Strickmuster ist bekannt: erst nisten sich Soldaten in den entlegensten Urwaldwinkeln ein, bauen Landepisten und Straßen; es folgen ihnen die Goldgräber, dann die Bergbaukonzerne und zu guter Letzt Holzfäller und Siedler mit ihren Motorsägen. Um die Yanomanis braucht man sich spätestens dann nicht mehr zu sorgen.