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El Junquito und Colonia Tovar

Beliebte Ausflugsziele

Malerische Fleckchen

Die kleine Ortschaft El Junquito auf 1.400 m war einstmals das Naherholungsgebiet der Oberschicht aus Caracas. Villen entstanden inmitten malerischer Parks. Ein Park heißt Parque El Junko und läßt sich mit dem von Einheimischen zu mietenden Pferd erkunden. Früh morgens bei klarer Sicht erkennt man von einigen wenigen Stellen aus die Karibikküste im Norden und Caracas im Osten. Die Fahrzeit von Caracas beträgt ungefähr eine Stunde. Busse verkehren vom Busterminal zwischen 5.00-22.00h. Mit dem Mietwagen erreicht man das Dorf über die Straße Francisco de Miranda und den Autobahnverteiler La Araña; einige hundert Meter in Richtung La Guaira fahren, die Abfahrt auf die Avenida San Martin nehmen und dieser Straße so lange folgen bis sie ihren Namen in Avenida Intercomunal Antímano wechselt. Dann in Yaguara rechts abbiegen und der Beschilderung nach El Junquito folgen.

Geschichte der Colonia Tovar

Eine weitere Stunde von El Junquito entfernt die Siedlung Colonia Tovar mit deutscher Vergangenheit. Die vielen Gefallenen im Befreiungskrieg und die Abschaffung der Sklaverei bewirkten einen Arbeitskräftemangel, der 1839 den Präsidenten zur Änderung der Einwanderungsgesetze zwang. Graf Tovar beauftragte den europäischen Geographen und Kartographen Agustín Codazzi, der 1827 nach Venezuela ausgewandert war, Siedler aus Europa anzuwerben. Sie sollten nicht nur sein eigenes Land bestellen, sondern auch die Landwirtschaft Venezuelas im ganzen entwickeln helfen. Vom Kaiserstuhl am Oberrhein kommend, bestiegen 358 hoffnungsvolle Siedler das Schiff nach Venezuela. Die Überfahrt raffte fast ein Fünftel der Passagiere durch Pocken hin. Als sie im Hafen von La Guaira vor Anker gingen, verweigerten Beamten der Einreisebehörde ihnen den Landgang und verdammten sie zu vierzig Tagen Quarantäne, bis sie sich entschlossen, die Neubürger in Choroní an Land gehen zu lassen. Die Einheimischen dort hatten allerdings schon von der gefährlichen Pockenkrankheit gehört und hielten sich von den Siedlern fern. Niemand wollte sie und ihre Habseligkeiten transportieren, so dass diese zu Fuß in die Berge hinaufziehen mußten, um die Ländereien des Grafen Tovar zu erreichen. Sie führten Ackergerät, junge Obstbäume, diverse Nutzpflanzen und Saatgut mit sich. Don Martín Tovar hatte für sie ein Stück fruchtbares Land am Río Tuy bereitgestellt, in einem Tal, das er Humboldttal nannte. Dieses liegt fast 1.800 m über dem Meeresspiegel, weshalb es mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 16,7° C verhältnismäßig kühl ist. Die Einwanderer brauchten sich klimatisch also nicht sonderlich umzustellen.

Infolge des um 1848 tobenden Bürgerkriegs sowie Codazzis Tod im Jahre 1859 geriet die deutsche Siedlung in Vergessenheit. Die Siedler bestanden übrigens nicht nur aus Bauern: es waren auch Apotheker, Bäcker, Lehrer, Pfarrer, Schneider, Schmiede und Zimmerleute dabei. Sie errichteten ihr eigenes Dorf mit Fachwerkhäusern, einer Kirche sowie einer Schule und nannten es nach dem Grafen Tovar. Weil sie von der Außenwelt abgeschnitten lebten, konnten sie ihre eigenen Gesetze erlassen, ohne dass sich jemand daran störte. Ein Gesetz besagte, dass jede Person, die außerhalb der Colonia Tovar heiratete, ihren Flecken Land verlor. Innerhalb von 118 Jahren wuchs die Einwohnerzahl auf 1.252 Personen an. Die ersten neugierigen Besucher kamen noch zu Fuß aus Caracas. Durchtrainierte Wanderer legten die Strecke in neun Stunden zurück, während andere ritten. Erst 1963, mit Fertigstellung der Straßenverbindung nach Caracas, wurde das Dorf der Vergessenheit entrissen. Es begann der Handel mit Obst und Gemüse, das den Städtern zum größten Teil noch unbekannt war, und die Colonia Tovar entwickelte sich zum beliebtesten Ausflugsziel der Caraqueños. Die Behörden entsandten einen Spanischlehrer und schafften die Gesetzte der Kolonie ab.

Colonia Tovar heute

Heute wird das Dorf am Wochenende von Besuchern geradezu überrannt: Parkplätze sind Mangelware, und für den Rückweg braucht man doppelt so lange wie für den Hinweg, weil der Verkehr nur zäh fließt. Essen und Hotels sind wesentlich teurer als am Strand. Die blonden, blauäugigen Siedlernachkommen sprechen kaum noch Deutsch und wenn, dann mit spanischem Akzent. Lediglich auf den entlegensten Höfen ist noch der badische Dialekt zu vernehmen.

Die Häuser sind zwar nach wie vor weiß gestrichen und haben ein rotes Dach, jedoch sind die bei Fachwerkhäusern üblichen Balken nur noch aufgemalt. Originalkonstruktionen sind das Hotel Schwarzwald aus dem Jahr 1938 sowie die katholische und evangelische Kirche.

Beliebt ist Colonia Tovar bei den Venezolanern nicht nur wegen seines angenehm kühlen Klimas und seiner frischen Landluft, sondern weil man dort deutsche Spezialitäten kaufen kann: neben Blumen, Gemüse und Obst bieten die Bewohner auch Honig, Sauerkraut, Schinken und Wurst feil. Butterkekse und Schwarzbrot entstehen nach einem überlieferten Rezept, und Bier brauen sie selbstverständlich nach dem Reinheitsgebot. Bei den Kuckucksuhren handelt es sich um ein beliebtes Souvenir.

Colonia Tovar besitzt ein sehenswertes Museum, wo unter anderem altes Ackergerät an die Gründerzeit erinnert (geöffnet: nur am Wochenende und feiertags).

Am 8. April feiert die Kolonie ihren Gründungstag mit Volkstänzen und -gesängen aus dem Schwarzwald. Ein weiterer bedeutender Festtag ist der 11. November, Tag ihres Schutzpatrons, des St. Martin.