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Die Familie

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Drei Generationen unter einem Dach

Ja, Nein ... ich meine Jein!

Auch jene Großfamilie existiert noch, die in Industrienationen nur noch selten vorkommt. In der Regel wohnen drei Generationen unter einem Dach. Altenheime sind weitgehend unbekannt. Die Eltern versorgen die Großeltern, da es kein funktionierendes System zur Altersversorgung gibt. Wegen der hohen Mieten bleiben die Kinder solange zu Hause, bis sie heiraten. Daher liegt die Anzahl der Einzelhaushalte nur bei 7%. Da gibt es genügend Dreißigjährige, die noch bei ihren Eltern wohnen. Die Eltern dulden allerdings nicht den Beischlaf des Freundes bzw. der Freundin ihrer Kinder unter ihrem Dach, gleichgültig wie alt sie sind. Daher blüht besonders am Wochenende das Geschäft der Stundenhotels. Der hohen Mieten wegen wohnen in 39% aller Haushalte noch andere Verwandte oder Fremde zur Untermiete.

Ein klares Ja oder Nein kennt der Venezolaner nicht. Sagt er bei einer Verabredung zu, so heißt das, dass er vielleicht kommt, wenn sich nichts Besseres ergibt. Sagt er, dass er vielleicht komme, so handelt es sich um eine Absage. Ähnliches gilt für Parties. Möchte jemand gehen und sagt, er komme gleich zurück, oder die anderen sollen warten, so ist das nur eine Floskel, mit der sich die Person zurückzieht. Auch das Lieblingswort »mañana« (morgen) ist nicht wörtlich zu nehmen, denn es bedeutet hier so viel wie »irgendwann mal«. Ebenso sind Versprechen, jemanden anzurufen oder zurückzurufen, oft nur Ausdruck der Höflichkeit und keineswegs ernst zu nehmen. Besonders beim Telefonieren kommen noch die technischen Schwierigkeiten der Gesprächsverbindung hinzu.

In Deutschland ist der Kunde in der Regel noch König. Die Verkäufer bemühen sich, ihn zufriedenzustellen. Der Venezolaner erweckt hingegen einen weidlich eigenwilligen Eindruck. Drängt jemand einen Kellner oder ist ihm gegenüber unfreundlich, kann es sein, dass der einen solchen Gast schnell ignoriert und nicht bedient. Nörgelt jemand über das Essen und gibt dennoch ein Trinkgeld, dem kann es passieren, dass der Kellner ihm dieses zurückgibt. Gefällt dem Taxifahrer die Route nicht oder ist sie ihm zu lang, so lehnt er sie ab. Vielleicht will er auch nur seine »siesta« (Mittagsschläfchen) halten. Diese Eigenwilligkeit hat nichts mit Gastfreundschaft zu tun. Der Venezolaner möchte nur respektiert werden und auf der gleichen Stufe stehen, wie der in ihren Augen reiche Urlauber. Alles ist für Geld eben nicht zu bekommen. Freundliche Worte und Lob bewirken in Venezuela wesentlich mehr.

Als Ausländer und besonders als Urlauber ist es schwierig, tiefer in die Gesellschaft einzutauchen. Wer Spanisch spricht, dem öffnet sich das erste Tor. Vom Siezen wechseln die Menschen relativ schnell zum Duzen über. Dank Offenheit und Freundlichkeit können relativ schnell Freundschaften geschlossen werden, die allerdings in der Regel nur oberflächlich bleiben. So fix wie man sie schließt, so schnell wird sie auch wieder beendet. Das geschieht spätestens mit der Abreise. Einen Briefverkehr aufrechtzuerhalten, erweist sich als schwierig. Erst recht dann, wenn jemand nicht jedes Jahr wiederkommt. Einen tiefen Einblick in die venezolanische Gesellschaft erhält also nur, wer in Venezuela längere Zeit lebt oder eine Venezolanerin heiratet.