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Staudamm

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Singender Stein von Itaipú

Größte Betonmauer der Welt

Auf Indianisch bedeutet Itaipú »singender Stein«. Dies ist der weltweit größte Staudamm, eine gewaltige Betonmauer, die fast unvorstellbare, über 170 km gestaute Wassermassen zurückhält (entspricht der zweieinhalbfachen Wassermenge des Bodensees). Allein die Schaumwelle, die auf die geneigten Innenseiten brandet, steigt Dutzende von Metern hoch. In den Hallen der zweiundsechzig (!) Stockwerke hohen Hauptstaumauer mit einer Gesamtlänge von 1,3 km surren achtzehn Generatoren mit jeweils siebenhundert Megawatt Leistung. Mit den über zwölf Millionen verbauten Kubikmetern Beton könnte man locker eine Vier-Millionen-Stadt errichten (für den Euro-Tunnel zwischen England und dem Kontinent benötigte man nur den fünfzehnten Teil). Über Tausende von Kilometern geht der Strom, auf 600.000 Volt hochgespannt, mit drei Prozent Energieverlust auf die Reise nach Sao Paulo. Superlative und kein Ende ...

Dieses 1975, zu Zeiten der von den Militärs angekurbelten Industrialisierung, begonnene Mammutprojekt hatte nicht nur Befürworter. 1990 produzierten die achtzehn Turbinen 12.600 Megawatt Strom, das entspricht der dreifachen Leistungsfähigkeit des Assuan-Staudamms in Ägypten. Für manche Kreise diente das riesenhafte Wehr nur dazu, die Zahl der Obras faraônicas (»Pharaonenwerke«), Ausgeburt längst überholter Entwicklungsvorstellungen der Regierungsbürokraten in Brasília, zu erhöhen. Tatsächlich stellte sich in Untersuchungen heraus, dass weder Brasilien noch Paraguay (beide zur Hälfte beteiligt) die produzierte Energiemenge je werden verbrauchen können, gerade in einer Zeit, in der die gesamte Wirtschaft tief in der Rezession steckt. Itapú war außerdem verantwortlich für einen Großteil der brasilianischen Auslandsschulden. Kurz: ein Skandal sondergleichen, vergleichbar nur noch mit der »Erschließung«, also Zerstörung, des tropischen Regenwaldes im Amazonasbecken. Und was dem Ganzen die Krone aufsetzt: Projekte solcher Art laufen auch noch unter dem Etikett wirtschaftlicher Entwicklung! Man könnte einwenden, bei günstigerer Wirtschaftslage und weiterer Industrialisierung Brasiliens sei der hier erzeugte Strom vielleicht doch einmal von Nutzen. Die Aussicht darauf dürfte nach Ansicht von Fachleuten allerdings an der durch massive Abholzungen am Oberlauf bedingten Verschlammung des Rio Paraná scheitern, welche die Lebensdauer des Kraftwerks zu verkürzen droht. Auch das Argument »lieber Wasser- als Atomkraft« zieht nicht: seit Jahren schon bastelt Brasilien mit tatkräftiger Unterstützung bundesdeutscher Firmen an seinem ersten Atomkraftwerk, wobei fraglich ist, ob dies nur in Hinblick auf die Energiegewinnung geschieht. Bisher brachte das Atomgeschäft vier Milliarden Dollar Schulden, aber keine Kilowattstunde Strom. Da das Werk an der Küste bei Angra do Heroismo auf sumpfigem Grund liegt, hat sich der Reaktor gesenkt und gedreht. Wahrlich schöne Aussichten ... Dasselbe passierte übrigens auch in Nogent bei Paris. Wir werden wohl noch davon hören.

Das Zeitalter des verschwenderischen Umgangs mit der Natur wird sicher auch in Brasilien zu Ende gehen; aus heutiger Sicht vielversprechender ist jedenfalls eine dezentrale Energieversorgung, zumal in einem Land mit ständig wachsender Armut, wo es weiten Teilen der Bevölkerung an so grundlegenden Dingen wie Versorgung mit fließendem Wasser und Kanalisation mangelt.

Zum Stausee steigt man in Foz in den Bus »Canteiro de Obras« auf der Avenida Juscelino Kubitschek oder am Busbahnhof. Dreißigminütige Fahrt. Den »Executive«-Bus meiden, da erheblich teurer. Alle Busse halten 200 m vor dem Besucherzentrum, in Itaipú Conjunction.

Die anderthalbstündige Führung durchs Kraftwerk, auf Englisch, ist kostenlos – klar, ist ja auch Propaganda. Unter der Woche von 8 bis 10 Uhr und von 14 bis 16 Uhr. Sonntags sind drei Besichtigungen angesetzt: um 8.30, 9.30 und um 10.30 Uhr. Mindestens fünfzehn Minuten vorher dasein. Die erste Führung am Tag ist die am schwächsten ausgelastete. Die angegebenen Uhrzeiten überprüfen; Änderungen sind jederzeit möglich. Dem eigentlichen Besuch geht eine Filmvorführung voraus, die man nicht verpassen sollte. Man braucht ja nicht alles gleich für bare Münze zu nehmen ...

Ferner besteht Gelegenheit, das Ecomuseu de Itaipú aufzusuchen, zweihundert Meter vor der Besucherempfangshalle des Stauwerks. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Fossilien, Töpferwaren sowie Erzeugnissen der früheren Indianerkulturen in der Region. Ein ökologisches Feigenblatt also, geeignet, das Gewissen der Verantwortlichen ein wenig zu beruhigen. 40.000 Menschen mußten vor Flutung des Stausees umgesiedelt werden. Bleibt nur zu hoffen, dass in Brasilien nicht noch mehr Kulturen im Museum landen. Derzeit deutet jedenfalls eine Menge darauf hin (Stichwort »Amazonas«). In Richtung »Gewissensberuhigung« deuten auch folgende, stolz präsentierte Zahlen: 149 Fischarten sollen sich im Stausee tummeln, in dessen Umkreis vierzehn Millionen Bäume angepflanzt wurden. Und in der Umweltabteilung der Betreibergesellschaft sollen über zweihundert der insgesamt 3500 Beschäftigten arbeiten. Die Sete Quedas (»Sieben Fälle«) jedenfalls existieren nur noch in der Erinnerung bei den Älteren in Itaipú fort.

In Richtung Paraguay

In den Bus nach Ciudad del Este gegenüber vom Busbahnhof steigen. Paraguay über alles ... das war einmal. Alfredo Stroessner wurde zwar 1989 durch einen Militärputsch gestürzt, das neue Kabinett unter General Andrés Rodrigues bestand aber überwiegend aus alten Vertrauten des Diktators aus der Colorado-Partei. Im Juni 1992 verabschiedete das Parlament eine demokratische Verfassung, im Mai 1993 wurde ein Nachfolger Rodrigues´ gewählt ... Derweil wirft die Ausfuhr von Baumwolle, Soja, Tabak und Reis immer weniger ab.

Paraguay ist beliebt unter Schnäppchenjägern, die sich im eigenen Interesse aber an seriöse Läden halten sollten: auf der Straße wird imitierte Markenware angeboten.