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San Francisco

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Das goldene Tor (Vorwahl: 415)

Oder: Das Tor zum Gold?

Rund 660 km nördlich von Los Angeles, am Camino Real, der »Königlichen Straße«, an der die Spanier im Laufe des 18. Jhs einundzwanzig Missionen gegründet hatten. Mission Street ist ein Rest dieser alten Straße.

Es begab sich im Jahre 1848, zu einer Zeit, da San Francisco nichts weiter als ein kleines Fischernest aus drei Dutzend Häusern war, dass eines schönen Tages James W. Marshall seinem Chef, dem Schweizer Johann (John) August Suter (ein »t« ! ), rund 220 km vom späteren Eldorado der Blumenkinder, die ersten Goldklümpchen brachte. Der Anfang des San-Francisco-Mythos´ war gemacht.

Da zwar fast jeder mal von ihm gehört hat, aber weiter wenig über ihn bekannt ist, sei seine Geschichte hier ein wenig näher beschrieben:

Im Alter von 31 Jahren bricht er 1834 nach Amerika auf, nach einer Laufbahn als Bankrotteur, Dieb, Wechselfälscher und einem Zwischenhalt in Paris, wo er sich durch Betrug Geld für die Überfahrt beschaffte. In Rynenberg bei Basel bleibet seine Frau mit drei Kindern zurück. Es folgt ein weiteres unstetes Leben in New York als Packer, Drogist, Zahnarzt, Arzneiverkäufer, Kaschemmenpächter, schließlich als Farmer in Missouri. Hier könnte er sein Leben fristen, wäre nicht diese Unrast und Abenteuerlust. 1838 erreicht er nach einem qualvollen dreimonatigen Treck von Fort Independence aus, bei dem einige seiner Begleiter starben, andere das Unterfangen aufgaben, Van Couver am Pazifik. Wenig später, nach einer Reise mit einem morschen Segler, setzt er seinen Fuß in San Francisco, einem verlotterten Dörfchen, auf damals mexikanischen Boden. Er entdeckt das fruchtbare Sacramentotal für seine hochfliegenden Pläne. Nicht nur eine Farm, nein ein ganzes Reich, Neu-Helvetien, will er gründen, und sieht hier den nötigen Raum dafür. In Monte Rey stellt er sich dem Gouverneur Alverado vor und erklärt, mit seinen, von der Segelreise von den Sandwichinseln mitgebrachten Kanaken, das Land urbar machen und Siedlungen gründen zu wollen und erhält so eine Konzession auf zehn Jahre.

Suters fantastisches Vorhaben gelingt auf Anhieb. Der Erfolg ist ungeahnt. Nach Roden des Waldes werden Brunnen und Kanäle gegraben, Faktoreien angelegt; Mühlen und Gebäude entstehen. Neue Siedler und Arbeiter strömen herbei. Der Boden bringt reiche Erträge; die Herden zählen bald Tausende von Köpfen. Suter läßt das erste Obst, die ersten Reben pflanzen, wofür Kalifornien bis heute bekannt ist. Bauernhöfe und repräsentative Wohngebäude werden errichtet, ein Pleyel-Klavier über hundertachtzig Tagesreisen aus Paris herangeschafft, eine Dampfmaschine aus New York mittels sechzig Büffeln von Ost nach West geschleppt. Suter genießt Kredit bei den angesehensten Bankhäusern in Europa und ist einer der reichsten Männer der Welt. Die USA reißen Kalifornien an sich und somit scheint der Erfolg gesichert. Nun, auf der Höhe seiner Macht, schreibt er seiner Familie in der Schweiz, bittet sie zu kommen.

Im Januar 1848 findet Marshall das erste Gold bei Arbeiten für ein neues Sägewerk bei Coloma. Suter vergattert die wenigen anwesenden Arbeiter zu Verschwiegenheit. Vergebens – acht Tage später verplappert eine Frau das Geheimnis und etwa Unerhörtes, nie Gekanntes geschieht: wer immer von dem Fund erfährt, läßt gerade alles stehen und liegen und bricht nach Coloma auf. Suters eigene Leute lassen alles im Stich. Das nicht mehr gemolkene Vieh krepiert, Felder werden weder abgeerntet noch bestellt, die Städter eilen herbei, Beamte, Matrosen, jedermann, Gelumpe jeden Kalibers, zu jeder Schandtat bereit. Ein gewalttätiger Haufe, der immer stärker anschwillt, bald genährt von Zulauf aus allen Winkeln des Kontinents, Europas und fernen Erdteilen.

Von Suters Reich, San Francisco samt der ganzen Umgebung, dessen Eigentum ihm durch Regierungsakt noch einmal besiegelt worden war, bleibt nichts. Sein Land wird widerrechtlich durchwühlt, aufgeteilt, verkauft und wieder verkauft, sein Vieh geschlachtet, seine Gebäude besetzt, seine bewegliche Habe geplündert und zerstreut. Ohnmächtig zieht er sich zurück auf eine abgelegenere Farm Eremitage, wo bald seine Familie eintrifft. Kaum angelangt, stirbt seine Frau an Erschöpfung von der Reise. Mit seinen Söhnen nun betreibt er wieder Landwirtschaft und rappelt sich allmählich wieder auf. Ein neuer Anfang und auch Kampf um sein Recht. Zu diesem Zweck läßt er seinen Sohn Emil in Washington Jura studieren.

1850 führt er einen Prozeß um 25 Millionen Dollar gegen den Staat Kalifornien, der sich seine Gebäude, Kanäle, Wege usw. angeeignet hatte, gegen 17.221 Farmer, die seinen Boden bewirtschaften. Er verlangt seinen Anteil an allem, auf seinem Boden geförderten, Gold, ferner 25 Millionen Dollar von der Union wegen der Verwüstungen an seinem Eigentum. Nach vier Jahren Dauer fällt Richter Thompson, höchster Beamter des Staates und unbestechlich, am 15. März 1855 sein Urteil. Suter bekommt in vollem Umfang Recht! Triumph und Friede? Mitnichten, sein Untergang!

Ein wahrer Sturm bricht los. Alle, die sich nur irgendwie von dem Urteil bedroht sehen, rotten sich zu Zehntausenden zusammen, stürmen den Justizpalast, brennen ihn nieder, suchen Richter Thompson, um ihn aufzuknüpfen. Das Gesindel bricht auf, um Suters Besitz zu plündern. Ein Sohn erschießt sich in seiner Bedrängnis, der zweite wird ermordet, der dritte flieht, nur um bei der Heimkehr zu ertrinken. Suter entrinnt nur knapp dem Tode. Von seinem Besitz bleibt nur eine Einöde, Geld, Möbel, Sammlungen werden geraubt, alle Gebäude gehen in Flammen auf, aller Reichtum zerrinnt.

Von diesem Schlag erholt er sich nicht mehr. Er irrt 25 Jahre lang als alter, geistesschwacher und schlechtgekleideter Mann um den Washingtoner Justizpalast. Abenteurer, Advokaten und Filous treiben ihn zu immer neuen Prozessen und entlocken ihm die Rente. 1880 stirbt er auf den Stufen des Kongresses durch Herzschlag als verarmter, bespöttelter Habenichts, und doch dem Rechtstitel nach als reichster Mann der Welt.

Noch hat niemand sein Erbe beansprucht, und so fahnden wir fieberhaft nach Beweisen für den Fehltritt unserer gesegneten Ururgroßmutter, die bei Suters doch mal in Diensten stand und die er damals geschwängert hat. Es lebe die Sünde!

Wir haben die Geschichte so gut erzählt, wie wir nur konnten. Man verzeihe uns unsere Unzulänglichkeit: Besser kann´s auf jeden Fall Stefan Zweig in seinen »Sternstunden der Menschheit«, Fischer Tb. Vieles hat sich seit jener Zeit in Kalifornien geändert, und heute ist es nicht mehr der Reiz des Goldes, der die Besucherscharen nach San Francisco lockt. Hier ist alles anders. Die Farbigen sind farbig und stolz darauf, genauso wie die Schwulen stolz auf ihre Homosexualität sind, auch wenn Aids ihnen zu schaffen macht. Ach ja, kommt davon; wären sie doch keusch geblieben! Die Menschen achten einander und tun doch stets, wozu sie Lust haben. Und trotzig verteidigen sie ihr Recht auf ihren eigenen Lebensstil. Paradoxerweise finden sich in der Innenstadt wenige Wolkenkratzer, verglichen mit anderen Städten, denn die Bauherren bekommen äußerst strenge Vorgaben, wie so ein Gebäude in San Francisco auszusehen hat. Das erschwert nicht nur die Planung eines Projekts, sondern erhöht zudem die Kosten. Die Stadtväter wissen außerdem, dass eine Stadt von der Mischung verschiedener sozialer Klassen und von der Konfrontation verschiedener Gruppen lebt. Sie sorgen dafür, dass die Mieten nicht allzu sehr in die Höhe getrieben werden, damit das soziologische Gleichgewicht in der Stadt gewahrt bleibt.

Kurz und gut, in San Francisco erholt man sich von Amerika. Viele halten es für die schönste Stadt der USA. Auch unsere Leser werden mit Sicherheit begeistert sein: von den zahllosen Hügeln mit den abschüssigen Straßen, unsterblich geworden durch den Action Film>»Bullit« mit dem verstorbenen Steve McQueen, und vor allem von der Atmosphäre. Kein Wunder, dass die Amerikaner ihm den Spitznamen »Everybody´s Favorite City« verpaßten.

Verglichen mit LA, ist San Francisco tatsächlich von humaner Größe. Erstens zählt diese Stadt »nur« 742.000 Einwohner, zweitens kann man hier tatsächlich zu Fuß gehen, ohne unangenehm aufzufallen. Aber auch hier gilt es zu bedenken, dass Mythen und Legenden nicht unbedingt die ganze Wahrheit widerspiegeln. Selbst im Sommer ist es oft recht frisch und neblig, so dass ein Pullover stets gute Dienste leistet.

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Foto: Fotolia, San Francisco, Häuserzeile der "Painted Ladies".

Beim nächsten Erdbeben sind sie weg, wie einiges andere.