Urwald

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Respektiere den Mikrokosmos-Wald

Abschied nach Cuzco

Rückblicke mit Mückenstichen

In dem grünen Dickicht mit den wenigen Blüten (den Luxus kann sich die Natur trotz aller Verschwendung hier nicht erlauben) bin ich nicht geboren, bin nicht wie Gustavo resistent gegen die Mückenplage, kein Machetenmacho, der Würmer verspeist; und so lieg ich am letzten Nachmittag in der schaukelnden Hängematte und sinniere über das Dasein und deren Kräfte nach. Ehrlich gesagt, freu ich mich wenn ich wieder im - gegenüber Holzplanken - luxuriösen Cuzco weile, ich träume von Schokoladentorte und sogar davon, irgendwann mal reich und groß zu sein und mir Premiere-Abos zu kaufen, um den ganzen Tag Fußball zu gucken! Flucht in die Illusion aus Angst vor der Vegetation.

Vor dem Abendessen erst mal baden gehen, der ganze Dreck der drei Tage wird im braunen Fluss von mir gespült, vorher mit dem Stock die Umgebung nach Kaimanen oder Rochen abgetastet, alles sicher, und rein ins erfrischende Nass und wie ein Verrückter gegen die starke Strömung schwimmen.

Nur wenig später, bei Einbruch der Dunkelheit, machen wir uns mit dem Boot auf die Suche nach Kaimanen, die nur des Nächtens jagend unterwegs sind. Die Einheimischen haben erstaunlicherweise gar keine Angst vor den Dingern, die Killergefahr, die von australischen Krokodilen ausgeht, schient hier nicht zu interessieren.

Erst auf unserem Rückweg haben wir Erfolg, direkt neben meiner Badestelle blitzen zwei gelbe Augen auf, ein 1,5 Meter großer Kaiman, wie Gustavo sofort an der Größe des Kopfes zu erkennen weiß, schwimmt vor unsrem Boot davon. Mehr als die schwimmenden Augen, die reptilienprimitiv die Umgebung abscannen, haben wir nicht gesehen, dennoch bleibt das Blitzen dieser Sehorgane, das pure, pulsierende Stammhirn in Erinnerung.

Letzte Nacht, großes Zwei-Gänge-Abschiedsessen (wie alles auf zwei Gasherdplatten zubereitet) und noch ein paar Stunden per Teleskop den Mond bestaunen, zum Nichtsattsehen, zum Hinauffliegen, Mars und Sirius nicht weniger schön. Der Mond ist in diesen Breiten viel heller als es sich Mitteleuropäer vorstellen können und erleuchtet die Lodge und Umgebung, verhindert aber gleichzeitig ein wahres Sternenfeuerwerk, das hier möglich wäre und möglich ist, wie wir nur einige Stunden später feststellen werden. Aufgrund unseres frühen Rückfluges müssen wir um vier Uhr aus den Federn, der zunehmende Mond demzufolge schon untergegangen, jetzt brilliert das Universum spektakulär. Endlich das Kreuz des Südens, na logo! im Süden!, mit seinen zwei bombastischen Anzeigern im Zentaur. Was aber die Unfassbarkeit in Persona darstellt, was Bestätigung für alle antiken Völker und Sternenfreunde jedweder Zeit ist, demonstriert Jupiter in dieser Nacht, der wie ein großer, gelber Bombenknall den Himmel regiert, ein Monster von Gewalt und Leuchtkraft, ein Brummer mit Bumms im Arsch, der König der Planeten schenkt uns somit einen würdigen Abschied, begleitet vom schönsten Sternbild des gesamten Himmels, in dessen Nähe er steht, das von Deutschland aus nie ganz zu sehen ist, dem vielfältigen Skorpion.

So steigen wir hell erfreut ins Boot, strömen flussabwärts mit Sonnenaufgang und doppelt so schnell wie auf dem Hinweg zum Hafen, werden noch mal der Geier und blassgrüner Schildkröten am Ufer gewahr und verabschieden uns herzlich lächelnd von den drei Musketieren.

Es regnet am Flughafen tränenreich und kräftig, einige Stunden später sitzen wir wieder in unserem Hostel in Cuzco, mit dem schönen Frei-Luft-Patio und der 93jährigen Oma, die gefüttert wird und der man ins Ohr schreit, die aber dennoch den ganzen Tag Zeitung liest.

Was sind das auf einmal für Gestalten, schau mal hier sind wieder Indios in traditioneller Tracht, ja Moment mal, hier sind wieder Altweltaffen, Menschen en masse. Es wuselt zwischen Stein und Metall, der Regenwald liegt hinter uns, das Herz in uns.

Heute morgen nach der ersten Schätzung knapp 200 Stiche! am ganzen Körper, dummerweise fange ich jetzt an zu kratzen, ein Fehler, den ich lassen sollte. Vielleicht will ich mich noch einmal in die blutsaugende Kraft beamen, noch einmal den hellen Mond, die wandernde Palme, die uralte Gottesanbeterin und die blau-grünen Ara-Schönlinge erleben, um dann weiter zu ziehen, mein Fleisch zu bewegen um zu verbrennen.