Ankunft

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Peru für Hartgesottene

Ritt am Abgrund

Spirituelles Zentrum Ayabaca

Peru am ersten Tag war in etwa so, wie wenn ein Jamaikaner Ende November nach Berlin-Tempelhof einfliegt, bei Nieselsuppe und 0 Grad in nem Kadett nach Berlin-Marzahn fährt und nach einer kurzen Nacht in dieser Satellitenstadt aufwacht, womöglich vom 23. Stock aus, und als Erstes am Morgen zu einer Ostberliner Behörde marschiert. Also Deutschland im totalen Hardcore-Wahn!

Wir also problemlos bei 30-Grad-Hitze über die Grenze, nette Beamte und unser Ziel heißt Ayabaca, ein kleines, angebliches Schamanenzentrum hoch oben im Norden. Eine Familie schreit am Lautesten, für drei Dollar nimmt man uns mit zu irgendeiner Straßenkreuzung, von wo aus die Busse fahren sollen. Ich denk schon im Auto, das wird was für den Reisebericht, einerseits deutlich mehr Jesus-Bilder an jeder Stelle im Auto als im nördlichen Nachbarland, andererseits eine Fahrt mit acht Personen in einem kleinen Japaner, der Kofferraum voll mit Gepäck. Hätte ich später erst an den Reisebericht denken sollen, denn kurze Zeit nach einem weiteren Stopp waren es zwölf !! Personen, sechs vorne, sechs hinten, plus noch mehr Gepäck im Kofferraum. Netter Einstieg ...

An der Kreuzung dann ein anderer Taxi-Fahrer, wieder drei Dollar, jetzt angeblich in eine Stadt, von wo die Busse weiterfahren. Stimmt zum Glück dann letztlich auch!

Was gibt´s hier Neues zu bestaunen? Scheinbar noch größere Armut, noch zerfallenere, unfertigere Häuser, Esel, Schweine, Hunde, alles auf den Straßen, kauernde Menschen und eine Tankstelle, die unser Taxifahrer ansteuert, die sich durch nichts vom Rest unterscheidet, bis plötzlich ein Kanister und ein Plastik-Einfüll-Stutzen, den ich mir mit Lego gerne selbst gebaut hätte, auftauchen.

Dann das Abenteuer: Wir kriegen den Bus, nach Ayabaca sind´s zweieinhalb Stunden, kostet dafür aber verhältnismäßig viel, warum erfahren wir während der Fahrt. Waren bisherige Andenfahrten fast ein Vergnügen, ein Pendeln und Gleiten auf den Kordilleren, ein Auf- und Ab, auf geteerten Straßen, so wird dies zur schwierigsten, anstrengendsten und aufregendsten Busfahrt bis dato. Steinstraße, Wüstenstaub, Schlaglöcher, Pfützen und halsbrecherische Kurven. Das Schlimmste: Die ganze Strecke ist nur zur Bergseite hin geschützt, in die Tiefe, die sich bald immer gähnender und absteigiger vor uns auftut, geht es direkt von der Straße, manchmal fährt der Bus wenige Zentimeter am Abgrund daran vorbei. Das wackelt und schaukelt, dass man nicht einmal eine Zeile lesen kann (wer es so will: ein optimales Bauchmuskeltraining) und die ganzen Kreuze am Straßenrand weisen einen deutlichst darauf hin, was hier passieren kann, wenn man mit dem Reifen nur einmal ausrutscht. An diesen Hängen entlang reitet unsere Bus-Karawane auf schmalstem Grade, selbst die Tiere oder Menschen sind nicht mehr anzutreffen, ein einziger Ritt auf dem Abgrund. Das ein oder andere Mal, ich gestehe es gern gefühlvoll ein, hab ich mich fest an der Hose meiner Partnerin festgekrampft, so ähnlich wie man das in Achterbahnen macht, nur dass man dort noch laut losschreien kann. Irgendwann, endlose Zeit später, aus dem Nichts, nach 1600 Höhenmetern und 59 Längenkilometern, Ayabaca, ein kleines Städtchen, taucht auf.

Wie zerfallen, weit, weit weg ist hier noch alles, wie modern scheint hingegen das von uns als rückständig betitelte Ecuador, und wie freundlich und zuvorkommend die Menschen, wie langsam das Internet, wie süß die Zahnlücken und wie enttäuschend die Feststellung, dass der ganze Ritt arbeitstechnisch für´n Arsch war, denn auch hier hat´s keine Schamanen mehr, nur sechs Stunden Fahrt weiter an irgendwelchen Lagunen, aber den Trip tun wir uns nicht mehr an.

Wir müssen lernen: Ayabaca war schon in vorspanischer Zeit ein wichtiges Zentrum für Spiritualität und Glauben, und ist deswegen heute, komplett adaptiert, eine der religiösesten Städte von ganz Peru (Die Einheimische sprechen hier aber ungern vom Katholizismus, sondern nennen es den Glauben der Spanier!), die zahlreichen Jesus-Bilder (Der Deutsche sagt, wenn er sie in diesen Formen sieht, wieder kitschig dazu) über unserem Bett, der Toilette, einfach überall geben deutliches Zeugnis davon.

Die schon in Ecuador bestaunte Ausdruckslosigkeit, falsch wäre es von Geschmacklosigkeit zu sprechen, setzt sich eindrucksvoll fort: Bilder, Kalender, Motive, Hinweisschilder, Raum- und Zeitanordnungen im Haus und auf der Straße, alles wirr und ohne Sinn, kein Kunst-, kein Strukturverständnis in unserem Sinne, keine Kohärenz, kein Zusammenhang, einfach nur simpler Pragmatismus und ein Lächeln für den Fremden.

Ein Lächeln für die Freunde obendrein!