Konquistadores

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Was bist du, Peru? Geschichtliche Einblicke

Fatal: Adaption, Demut und Zeit-Totschlagen

Eben am Meer mit Timmy der Schildkröte gesessen und Wellen-Bruch-Raten gespielt. Wer weiß, wo die Welle am ehesten bricht, bekommt einen Sol, wörtlich übersetzt heißt das Sonne und nicht von ungefähr trägt die peruanische Währung den gleichen Namen.

Peru, wer oder was bist du, Peru?

Früher, vor vierhundert Jahren, nachdem die Eroberer den ganzen Kontinent erforscht, Spanier und Portugiesen ihn durch Dekret des Papstes unter sich aufgeteilt hatten, musste das ganze Indio-Land samt Bewohnern geordnet und in königliche Bahnen gelenkt werden. Die Spanier nannten ihren Teil, also im Grunde den kompletten Kontinent bis auf Brasilien, das Vizekönigreich Peru. Die Gelehrten streiten bis heute einen der unzähligen und darüber hinaus unnötigen Gelehrtenstreite, ob das Wort nun aus der Eingeborenen-Sprache Quechua kommt und Mais bedeutet oder nach einem spanischen Fluss benannt wurde.

Jedenfalls war Peru damals, vor mehreren hundert Jahren also, das, was heute Argentinien, Chile, Paraguay, Kolumbien, Venezuela, Ecuador und eben Peru zusammen sind, ein riesiges, ungeheuerliches Stück Land.

Als sich vor 150 Jahren dann die südamerikanischen Staaten zumindest scheinbar befreit hatten, gab´s Aufspaltereien hin und her und übrig blieb annährend das, was wir heute kennen. Der Staat Peru ist auch momentan immer noch zigmal größer als Deutschland und Frankreich zusammen, besitzt fast alle Vegetations-Spektren, die die Erde zu bieten hat, und ist dennoch ein Land, mit dem es nicht immer einfach ist, leicht warm zu werden, und das obwohl es hier, zumindest am Strand, ganz schön warm werden kann.

Timmy Tortuga pflichtet mir bei und kickt künstlerisch wertvoll einen Stein Richtung Wasser: Die Peruaner leben für ihre Währung, für ihren scheinbaren Wohlstand, alles andere kommt später.

Dieser scheinbare Wohlstand ist allerdings in den allermeisten Fällen nichts weiter als blindes Zeit-Totschlagen mit medialen Millenium-Spielzeugen wie Handy, Playstation, DVD-Player oder dem Gott jedes Raumes, egal ob Schlaf-, Ess- oder Scheißzimmer, dem Fernseher. Wenn man in Europa schon lange suchen muss, um jemanden zu finden, der bei Ausdrücken wie "Sinn des Lebens", "Baum-Kraft" oder "Sternenenergie" nicht gleich den Solarplexus zusammen zieht und irgendwas Hilfloses von Esoterik labert, so ist dies hier fast unmöglich, es geht ums Leben, ums Überleben, und das wird durch Technik, die Amerikaner und ein Telefon erreicht.

Diese leicht zu machende Feststellung ist ein Paradoxon. Ausgestattet mit großem Reichtum, mit Hunden ohne Leine, mit Kindern an der wärmenden und schützenden Mutterbrust, mit, zumindest immer in unmittelbarer Nähe, stattfindendem Natur- und Nahrungsmittel-Einklang, folgend von all dem mit Körpern, die größtenteils auch im Erwachsenenalter noch geschmeidig und gelenkig sind, so wie in Asien oder Afrika, kein Vergleich zu versteiften, schon im Ansatz völlig destruierten und vom Kopf scheinbar fügbar, aber letztlich tot gemachten Europa-Leibern. Dazu die Kultur und der Hintergrund: Jedes Kind weiß, dass ihre Vorfahren die Sonne und den Mond anbeteten, und niemand würde hier auf die Idee kommen, dieses unfassbare, entfremdete Gesicht zu machen, wie es europäische Bürger tun, wenn man von den lebensbedeutenden (spirituell wie physikalisch) Kräften dieser beiden Gestirne spricht. Nur, anwenden, ausnutzen, sich damit vereinigen, ist hier genau so obsolet wie anderswo. Wir haben die Religion und den Glauben der Spanier adaptiert, sagen die Einheimischen. Nicht so wie es die Spanier gern gehabt hätten, mit Hass und Zerstörung der alten Götter, nein, ganz apathisch, ganz regungslos, ganz teilnahmslos hat man einfach das geschluckt, was einem die neuen Götter vorgesetzt hatten (ohne dabei das Alte aber verteufeln zu müssen), zu verlockend war der Gedanke an Reichtum, die edlen Stoffe, das ständige Nahrungsangebot und die scheinbare Zähmung der Naturgewalten mit Hilfe bestimmter Techniken.

Es gibt zahlreiche sozio-historische Untersuchungen über die Einnahme der Indianer durch die Spanier und deren Auswirkungen auf deren Kultur. Fest steht aber auch, dass der Hang zur Unterwerfung schon vorher (vor allen Dingen im treumütigen, devoten Inka-Reich, devot wohlgemerkt, gegenüber der Sonne!) vorhanden gewesen sein muss, anderenfalls ist eine dermaßene Erniedrigung nicht zu erklären.

Peru ist weitaus aggressiver in seinem Umgang mit sich selbst und auch mit Touristen. Überall wird man wie in arabischen Ländern angesprochen und schlicht und einfach mit unnötigen Angeboten genervt, man wird häufig, zumindest versuchsweise, betrogen, und das ein oder andere Stück Falschgeld befindet sich mittlerweile in unsrem Besitz. Hier in Huanchaco gibt es zahlreiche Berichte, dass Touristen aus dem Geldautomaten !! falsche Geldscheine herausbekommen hätten. Da keine Bank daran angebunden ist, ist Beschweren unmöglich.

Peru ist auch weitaus gläubiger als Ecuador, noch mehr Kreuze, noch mehr Jesus-Bilder, noch mehr Hingabe, und, dem Kult entsprechend, noch mehr Aufgabe des eigenen Lebens. Es gibt nichts weiteres mehr im Leben zu erforschen, sobald die Kirche schellt, sobald das Handy klingelt, sobald der Tourist vorbeiläuft, sobald die Telenovela ein neues Drama bereit hält.

Versteh mich nicht falsch, sag ich zu Timmy gebeugt, die Menschen, vor allen Dingen in den Dörfern, sind das Herz der Erde, sind die Dunkelheit der Augen und die Stille der Seele, es ist wunderbar, aber man muss auch deutliche Worte sprechen, die Augen aufmachen, sonst bleibt man geblendet und verstört.

Kotz dich ruhig aus, murmelt er, doch tatsächlich im Sand eine Patience mit einem 52er-Blatt legend.

Mutiges Kerlchen, von wegen Wind und so ...

Raison d´être der Peruaner

Die Peruaner sind Machos wie sie der italienische Stiefel oder der russische Oligarch noch nicht gesehen hat. Sie starren, sie schreien, sie pfeifen und dies ist alles legitim und erwünscht, und Simone de Bauvoire wäre hier keinen Märtyrer-Tod, sondern eine brutale Vierteilung gestorben.

Trotz aller oben genannten hervorragenden Vorraussetzungen gibt es eine Bruchstelle im Leben des Peruaners, ja des Südamerikaners an sich, die ihm anscheinend den Zugang zu manchen Dingen erschwert und ihn von außen bisweilen als langweilig und naiv erscheinen lässt. Man muss und sollte das nicht ausschließlich oder primär mit wirtschaftlichen oder politischen Faktoren begleichen, die ja an anderer Stelle schon erwähnt wurden und deren Rechtfertigung nach wie vor Bestand hat. Nein, das einschneidende Ereignis im Leben des Südamerikaners ist die Kindphase (6-10), wenn Werte wie Ich-Persönlichkeit, Familie und Glaube ins Leben einziehen. Dann wird hier mit einem Brandeisen aus Stahl unverkennbar und unauslöschlich der katholische, patriarchalische Oberhammer ausgepackt, der Paulus-mässig die Frauen an den Herd und ins Bett steckt, der das Streben nach Wissen, nach Klarheit und zu Sirius völlig unnötig macht, der dafür sorgt, dass vor der Militärgewalt des Staates, vor dem Priester und vor dem Vater in die Knie gegangen wird und der rechtfertigt, didaktisch, methodisch und inhaltlich kohärent rechtfertigt!, dass im Leben das Leiden, das Geißeln, das ständige Unterwerfen notwendig wird.

Man mag das kaum glauben, aber Pizarro, der Konquistador, der Erste und Brutalste einer langen Reihe von Eroberern und Ausbeutern, der es initiiert und dafür gesorgt hat, dass Länder wie Peru wirtschaftlich, menschlich und kulturell komplett, ohne irgendeine Rücksicht, ausgebeutet, zerstört, erniedrigt und demaskiert wurden, diesem Pizarro-Monster ist doch tatsächlich in Piura, ganz im Norden des Landes, (und nicht nur dort!), ein Denkmal gesetzt, platingroß strahlend und mächtig thront es auf dem Zentralplatz. In ganz Peru heißen ungezählte Straßen und Plätze nach diesem Mann, der angebliche Leichnam des Menschen, der ihre Ahnen ermordete, wird wie Petrus tief unten im Vatikan, höchst heilig in den Katakomben einer Kirche aufbewahrt. Um einen grotesken, aber angebrachten Vergleich zu ziehen: Das wäre so ähnlich, als würden in Israel zahlreiche Straßen Heinrich-Himmler-Weg, Himmler-Pfad heißen und ein dicker, fetter Bronze-Goering in jedem zweiten Park stehen. Es ist unfassbar, erklärt aber letztlich die fatale Mischung aus Demut und Adaption.

Die kraftvolle Mischung aus Demut und Adaption, flüstert mir Timmy ins Ohr, wird da oben in den Anden manchmal noch gelebt. Die Indianer ziehen dann mit ihren Lamaherden über die Altiplanos-Bergebenen, heben Steine auf und türmen sie auf kleine Heiligtümer, und sprechen, sich mit der Kraft verbündend: "Ich opfere Dir, Mama Occla (Mutter Erde), damit du mir Kraft verleihst". Es ist ein besonderes Erlebnis, einen ganzen Menschen zu treffen, egal ob hier oder woanders.

Du hast Recht, pflichte ich ihm bei, das fatale Syndrom der Zeit-Totschlägerei, der Entfremdung unserer Bestimmung ist globalisiert, trotz Gegnern, oder vielleicht auch gerade deshalb.

Uns bleibt nichts anderes übrig, offeriert er, als jeden Moment, jeden Tag, jeden Menschen und jedes Wesen rein und unvoreingenommen zu betrachten, mit den Augen zu hören und mit dem Herzen sehen. Wir sind schließlich Wanderer, du mit deinem weißen Fleisch und ich mit meinen grünen Lederstummeln.

Ja, Peru ist weder der Nabel noch der Dickdarm, es ist alles und kann alles sein, wachsam bleiben und weiterziehen, verzeihen und umarmen, lachen und schreiben.

Timmy lächelt mich an. Sag mal, frage ich ihn, und tue so als würde es mich nur nebenbei interessieren: "Wie haste das eben mit den Karten im Wind gemacht? Ich mein, die müssten doch normalerweise wegfliegen."

Ach ihr Physiker, lacht Timmy, springt in die Luft und legt mit seinem gepanzerten Körper eine astreine 360-Grad-Schraube samt Winke-Gruß hin. Als ob sich alles umdreht ....