Dschungelfieber

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Morgens im Amazonasbecken

Rhythmus des Dschungels

Die grünen Papageien im Rücken, sechs Uhr morgens im Amazonas-Becken, die 150 Meter durch den Dschungel zur Lodge zurück schlendernd, plötzlich Attraktionen hoch oben im Baum, eine Affenfamilie auf dem Weg - wie wir - zum Frühstück. Innehalten, still bleiben, unsere Verwandten bestaunen, die in völliger Freiheit vom Menschen lebenden Freunde schauen zurück, diese wilden Neuweltaffen haben ein paar Besonderheiten, die Altweltaffen wie Schimpanse, Gorilla oder Ich nicht haben, Afterzehenkrallen, zweipaarige Unterkiefer, und so weiter. 80 Millionen Jahre bevölkern die Affen den Planeten schon, meine Art ist ziemlich jung und hüpft auch nicht anders durch die Welt als die da oben, Gehirn ausstellen, in den Armen fühlen, wo wir herkommen, ein kurzes Good Bye, wir sind gleich und gehen alle frühstücken.

Das kommende Morgenmahl wird mit ungefähr 280 Insekten geteilt, die über unseren Tisch krabbeln, fliegen, surren, alles anknabbern müssen und einem den Genuss ganz schön verderben wollen. Unbarmherziger Kampf um jeden Zentimeter Energie, egal ob als Lichtstrahl, Kohlenhydratspeicher oder Proteinbase.

Während wir mit unseren Bananen verzweifelt gegen die Atnhropoda-Armeen anzukämpfen versuchen, hat sich freundlicherweise der ebenso weise Schwarzstirntrappist auf den Baum gegenüber gesetzt. Vögel sind, vergleicht man sie mit uns Affen, meilenweit voraus, vielleicht 470 Millionen Jahre alt, kein Wunder, dass den Freund da oben so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann. Der Schwarzstirntrappist sieht allwissend aus, obwohl unscheinbar schwarz und nicht besonders groß, gewinnt er den Morgenkampf um Anerkennung und Aufmerksamkeit gegen die Insekten locker.

Der nächste Waldbesuch steht danach an, andere Richtung, schwerer roter Baum zu Beginn vor uns, der Irontree (Eisenbaum). Wegen der roten Farbe weiß ich zu kokettieren. Ganz falsch, korrigiert Abel, der Irontree hat das schwerste Holz des Dschungels und würd gern für Fußböden und zum Bauen genommen.

Was schafft die Natur nicht alles für brauchbare Geschenke?, was für ein symbiotisches Dasein erwartet uns jeden Morgen, atmet in uns jede Sekunde. Da, direkt vor uns, liegen weiche Schalen von irgendwelchen Früchten, schwarzfarbig und sehen aus wie die Plastikbürsten von meinem Opa für seine wenigen Haare. Die Dinger haben weiche Stacheln und Abel weiß zu berichten, dass diese Schalen tatsächlich von den Affen als Bürsten verwendet werden, die sich damit das Fell säubern!

Weiter auf dem Weg bleibt unser Führer stehen und bricht einen Pilzschmarotzer von einem Baum ab. Sieht aus wie die weißen, runden Lamellenkonstellationen, die sich auch in jedem deutschen Wald am Baum entlangleitern, haben hier aber eine durchaus besondere Funktion. Er nimmt sein Messer, schreibt ein paar Zeichen auf die Unterseite des Pilzes, der dies im Übrigen gerne mit sich machen lässt, und stellt ihn auf den nächsten Baumstumpf. Damit verständigen sich die Buschmenschen hier, so wie das alte Runensystem bei euch in Europa, erklärt Abel und ich denk an nackte Buchen und deren Kind, die Buchstaben.

Gut 50 % der Menschen, die in diesen Wäldern leben, ganz abgesehen von den Wilden hinten draußen, leben zumeist auf die ursprüngliche Art und Weise, verzichten auf Medizin aus der Apotheke, nehmen ausschließlich Heilmittel der Urwaldgeschenke, kommunizieren auf eben diese pilzige Art miteinander, gehen mit Machete auf Jagd und sind Analphabeten, Altweltaffen und Neuweltaffen in einem Wald vereint.

Auf dem Rückweg ein riesengroßes Spinnennetz, schlängelt sich von Seite zu Seite, weiß und haarig, mit reichlich Schmetterlings-Beute drinnen, umgreift mehrere Pflanzen, was für ein Biest steckt da wohl hinter? Es ist die Wolfsspinne, maximal zwei Zentimeter groß, ein Winzling mit einem Riesennetz. Die Urwaldregel ist ganz einfach: Je kleiner die Spinne um so größer das Netz, eben deshalb, weil sie keine guten Angreifer sind, Vogelspinnen oder andere Mordsdinger brauchen bisweilen gar kein Netz, weil sie einfach so gute Angreifer sind und ihre Beute auch ohne Fangklebebecken kriegen werden.

Und was liegt da auf dem Boden? Ist denn heut schon Ostern? Ein blaues Osterei, wie es deine Volkshochschulgruppe von nebenan nicht schöner hätte malen können. Gehört zu einem kleinen Waldvogel, der hauptsächlich auf der Erde geht und nur zum Flüchten mal kurz fliegen kann. Blaue Eier, Riesennetze und ein Babypapagei, der in einer herrlich bauchigen Bellybutton-Palme aus dem Nestloch guckt. Er lässt sich minutenlang beobachten, sitzt da mit seinem grünen Kopf und seinen lustigen Papageien-Augen in sechs Meter Höhe und wartet auf seine Eltern. Ist wohl erst zwei Wochen alt, mehrere braucht er schon noch, um selber fliegen zu lernen. Sein Zuhause, die Bellybutton-Palme, heißt so, weil sich diese eigentlich ganz normalen Palmen in der Mitte ihres Stammes einen kleinen Luxusbauch anlegen, nur um sich nach oben hin dann wieder zu verjüngen. In perfekter Symbiose nutzen Spechte und Papageien diesen Baum. Spechte hauen die ersten Löcher rein, holen sich das Leckere raus, was sie brauchen. Papageien kommen einige Wochen später und können die einmal aufgebrochenen Löcher mit ihren Krallen ausweiten (selber Löcher reinhauen können sie nämlich nicht), um dann ihre Nester dort zu platzieren.

Hier stimmt sich alles aufeinander ein, weiß jeder den zu schätzen, den er benötigt, den zu fürchten, der ihm was will, kein isoliertes Singledasein mit Spiegeleiküche, sondern ein Konglomerat von Organismen auf der Suche nach Energie. Die Bromelie beispielsweise rühmt sich als der große Freund von vielen Lebewesen des Dschungels. Vögel, Affen und alle weiteren Wassersucher wären ohne sie ziemlich aufgeschmissen. Sie hängt oben im Baum und speichert an der Quelle ihrer dickfleischigen, sich nach allen Seiten abspreizenden Blättern, wie in einem Brunnen, Regenwasser, das in den entsprechenden Trockenzeiten den anderen Waldbewohnern sonst fehlen würde. In der Bromelie werden sie´s finden.

Das hier nicht alles eitel Sonnenschein ist und vornehmlich fröhlich, frisch und fromm vor sich hin lebt, abends die Pantoffel auszieht und Tatort guckt, ist klar wie Killing part of Life ist. Es gibt im Urwald ganz selten Bäume, die älter als 300 Jahre alt werden, ein ständiges Kommen und Gehen, ein Wechselspiel, unterstützt von Wind und Regen, setzt täglich ein, nichts ist beständiger als die Unbeständigkeit, richtig schwere Bäume können sich eigentlich nur in der Nähe des Wassers halten, weil dort der Nährstoffkampf nicht so groß ist. Zum Abschluss dieser Wanderung stoßen wir dann auch auf solch ein Exemplar, einen 20 oder mehr Meter Umfang Riesen, den die Welt schon gesehen hat, ich aber noch nicht erahnt habe. Die typische Bretter-Stütz-Konsruktion bietet Platz für Menschengruppen samt Zelt, der Stamm mit bestimmt fünf Metern Umfang marschiert 50 Meter in die Höhe und erlaubt sich dabei auch noch den Luxus, schräg nach oben abzuknicken, weil irgendwas im Weg steht. Der älteste und größte Baum des Territoriums, weiß Abel zu berichten, und ich weiß jetzt, was ich meinen Enkeln erzählen kann ...

Zum Mittagessen dann ein Farbengeschenk, die Siebenfarbentangare, ein kleiner Piepmatz, der, wie der Name erahnen lässt, sieben Kolorationen aufweist, besonders das Brust-Türkis macht Menschen glücklich, wer kann, schaut sich mal Fotos an, ein Traum von einem Vogel.

Gottesanbeterinnen und Tukare

Nach dem Mahl begegne ich meinem persönlichen Trip-Favoriten. Will hier keine großen Bewertungen abgeben und Medaillen verteilen, aber manche Dinge brennen sich ins Herz, manche ins Gehirn und manche eben in den ganzen Energiekörper. Für viele Leser vielleicht unspektakulär, sah ich zum ersten Mal überhaupt eine Gottesanbeterin, ein heuschreckenähnliches Insekt mit sechs Beinen, vier hinten als Ruder zum Steuern und zwei vorne zum Boxen und Anmutigsein. Das Ding war nicht sonderlich groß, pur grün, und hatte ein Gesicht, das nur aus Augen und Mund bestand und mir innerhalb eines Blickes zu erklären verstand, dass Insekten mehr als ein halbe Milliarden Jahre auf dem Buckel haben und gemeinsam mit den Pflanzen die Welt auch noch dann bevölkern werden, wenn Affen längst wieder Geschichte sind. Ein unheimlich tiefer Anblick, ich braucht ne Hängematten-Pause, schaukel hin und her, dös wie Dosenmilch im Kaffee vor mich hin und stell mir plötzlich Tukane vor, wie sie trinken.

Trinkende Tukane? Richtig, das gibt es nicht. Tukane bestehen ja eben zu einem großen Teil aus Schnabel, und das Ding ist so hinderlich, dass sie nicht trinken können. Aber wie bekommen denn die armen Dinger ihre Flüssigkeit, mag die besorgte Mutter fragen? Nun, ganz einfach, wenn es regnet, öffnen sie ihr Maul!

Mahlzeit! Erinnert mich an Neuweltaffen, vor allen Dingen an Homo sapiens, der, auch wenn ihm das gar nicht bewusst ist, seinen Oberkiefer nicht bewegen kann, außer er wirft seinen Kopf in den Nacken. Ausprobieren und staunen ...