Erschöpfung

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Stopp in Huaraz

Über die Cordillera Blanca y Negra

Herber Aufschlag in La Union

Reisende sind Abenteurer, müssen Herausforderungen annehmen, sich den Unwägbarkeiten stellen, den Duft der Schwere einatmen.

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Von Trujillo über Nacht 7 Stunden nach Huaraz, von 0 Metern auf 3000 Metern und schon scheint die Sonne morgens um Sechse wieder und die Luft ist schneedünn. Eingerahmt von der berühmten Cordillera Blanca, einer Bergkette mit zahlreichen Schneegletschern, erscheint Huaraz wie jedes andere peruanische Städtchen und wird zu Fuß erobert und bestaunt, genau wie die Gringos, je abgelegner man kommt, auch bestaunt werden. Am Rande der Stadt, wo wir eigentlich den Feldweg zum Spaziergang nutzen wollten, Berge voll Müll, eigentlich wie überall. Der einfache Mensch findet nichts Problematisches dabei, seinen Unrat direkt hinters Haus oder vorne den Abhang runter zu werfen. Klar stinkt´s, und klar zerreisst´s die Harmonie, und klar wird man abgestumpft und doch rümpfen wir an diesem Tag die Nase und finden die Scheiße scheiße.

Schönen Bergen zum Trotz anderentags weiter nach Osten zum kongenialen Partner, der Cordillera Negra. Obwohl nur 300 Kilometer entfernt, müssen einige Pässe überwunden werden, eine insgesamt 12-stündige Busfahrt steht auf dem Programm, portioniert in 2 Sechs-Stunden-Happen, Schlafpause in La Union inklusive.

Der erste Teil verläuft bekannt, dementsprechend entgrenzend. Anachronismus ist dieser Tage ein verschwenderisches Wort, aber was kann man empfinden, wenn man die einsamen Lehmhütten, ohne Tür, Fenster, Strom und Wasser, mit Strohdächern behelfsmäßig geflickt, mit Oma, und siebzehn Kindern vor der Hütte im Matsch, mit Kuh, Esel und Schaf, mit dem tiefen Blick aus der Zone des Unbekannten sieht, und wenn ein Bus vorbei fährt, das neugierige Lächeln gepaart mit dem grotesken Abschätzen der Moderne - immer wieder diese Bilder, die uns verfolgen, die uns bereichern, die uns verändern werden, auch je höher wir kommen, durch Regen, Matsch und tatsächlich Schnee! Ein kleiner Sturm überkommt uns auf circa 4000, vorgestern noch bei 30 Grad am Meer, welch ein Gegensatz.

Dabei wieder eine typische Baustellen-Bus-Unterbrechung, rausgehen, 4000 Meter hohe, dünne Luft einschlürfen, Bekanntschaft mit dem Element machen.

Die Musik im Bus, diese Zitter-Harfen-Kombination mit der asiatisch klingenden Stimme, die immer wieder die gleichen Viervierteltakt Polka-Schnulzen mit Wörter wie Corazon, Cerveza und Sentimiento wiederholt, die CD mit den sieben Stücken, die auf der Fahrt vielleicht 11mal gespielt wird nervt noch nicht, es ist ein Nicht-Tun mit der Fremde.

Draußen auch endlich die versprochenen Steinhügel, Ehrendenkmäler der Indios für Mutter Erde, und große Berge, die wir seit Wochen kennen und die einem immer wieder die Luft rauben, die Herrscher dieser Weltregion, die grünen, grauen, gelben, roten, lilanen Steinformationen, die Bäume, Sträucher, Hügel, die Anden, die tausend Geschichten erzählen und denen ich lustvoll und demütig zuhöre.

La Union, noch eingequetschter von den Bergriesen, fast schon ein bisschen unheimlich, kleine Wildwest-Stadt, zu unserem Transit, schnell ein Zimmer besorgen, und morgen früh wieder weg. 14 Soles, 3,50 Euro für zwei Personen! Natürlich stinkt das Klo erbärmlichst nach Pisse, hat keine Klobrille, kein warmes Wasser, wir sind es gewöhnt, ab in die Betten ohne Luft und Komfort, auf Holzlatten. Mitternachts dann ein Drama, Schüsse draußen, Knallerei, Geschrei, was ist da los, Angst, die Türen wackeln, die Luft riecht nach Schweiß, wir hören den Zimmernachbarn sich im Bett drehen ...

Bloß weg, doch der Horror kommt erst noch: Die zweite Busfahrt über 6 Stunden geht ausschließlich über ungeteerte Andenbergstraßen, die fast an sachsen-anhaltinische Dorfstraßen der frühen 1990er erinnern. Dennoch, man muss es kurz festhalten, alle Dritte-Welt-Länder, alle Armut, aller Wahnsinn kann nicht mit den schlechtesten Straßen aller Zeiten mithalten, eben genannten anhaltinischen Dorfstraßen der 1990er. Immerhin bemühen sich diejenigen von La Union nach Huanuco, unserem Zielort, um Platz Zwei dieses Rankings, es wackelt, es ruckelt, es geht durchschnittlich mit 30 oder 40 Km / h vorwärts. Dazu nervt die gleiche Cd wie gestern, weil lauter, und weil der Bus voller, und weil die Menschen stinkender, und weil es nicht mehr verständlich ist, warum sagt keiner was? Die Leute stehen direkt neben der Box, die Ohren werden zerstört, doch das macht nichts, stumm und teilnahmslos weiterfahren, gleichzeitig noch in einen der drei Fernseher! dieses Regionalbusses starren.

Nach drei Stunden merke ich, wie sich meine Rückenmuskeln zusammenkrampfen, die ewige Hopserei, das enge Sitzen zeigt unangenehme Auswirkungen. Der fette Erector Spinae, der Rückenstrecker, links und rechts neben der Wirbelsäule gelagert wird plötzlich immer dicker und härter und irgendwie fängt er an meine Atmung zu behindern, versuche mal aufzustehen, aber irgendwie wackelt´s da ja genau so, noch drei Stunden Fahrt, das Inferno lodert schon.

Letztlich war´s dann so, dass ich die letzte halbe Stunde meine Arme und meine Beine nicht mehr vom Rumpf wegbewegen konnte und bei jedem Schlagloch kurze Zeit das Gefühl hatte, ich krieg nu keine Luft mehr. Als wir irgendwie doch noch ankamen, habe ich mich als erstes draußen im Staub gewälzt und wie ein Fisch gezuckelt. Der Wanderer war irgendwie gar nicht so gut drauf und lustig war das auch nicht, selbst die staunenden Indios haben nicht über Gringo gelacht. Nach ner halben Stunde ins Hostel geschleppt, herrlich, ein würziger vollherber Pissgestank auf dem Klo, aber warmes Wasser, und auch zwei Tage später sind die verspannten Rückenmuskeln noch hinderlich.

Seit Tagen sitzen wir nu im Bus, beschwerliche, abenteuerliche Fahrten, auf der eben genannten ist es dann tatsächlich auch passiert, das wir an einem der zahleichen, früher schon beschriebenen Mordsabhänge, stehen bleiben. Der Matsch in der Kurver verlangt vom Bus, dass er sich talwärts neigt, um langsam vorwärts zukommen. Stelle man es sich also so vor: Man sitzt in der Achterbahn, die Bahn neigt sich zum Tal, das sich majestätisch unter einem ausbreitet und wir stehen mit dem ganzen Bus auf der Kippe. Haarscharf und nichts für schwache Nerven.

Es wird Zeit dass Gringo besser auf sich aufpasst, Rücken schont und lebt, als gäb es kein Morgen mehr. Heut nacht Luxusbus mit einem Ansatz von Komfort über Nacht nach Lima. Stellt die Drinks kühl, wir kommen ...