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Oscar Niemeyer

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Architektur und Entwicklung

Der wahre Held von Brasília: Oscar Niemeyer

Er war es, der für die Originalität der Stadt – für die Besucher ... – verantwortlich zeichnete. Die städtebauliche Konzeption Lucio Costas wäre ohne Niemeyers »großartige« Architektur vergeistigt und unbewohnbar. Dessen Grundprinzip läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: »Die Architektur ist nicht ein simples, technisches Problem von Ingenieuren, sondern der Ausdruck von Geist, Fantasie und Poesie.« Mit anderen Worten: man geht über das Anpassen der Form an eine Funktion oder die existierenden Techniken hinaus, um alle Möglichkeiten und Materialien maximal zu nutzen. Niemeyers Überlegungen gingen also in die Richtung, originelle Konstruktionen zu schaffen, dabei aber deren Ausgewogenheit und Integration in das Ganze zu berücksichtigen, ohne deswegen allerdings Eintönigkeit entstehen zu lassen. Soweit der Wille ...

Niemeyers Technik bestand ferner darin, Symbole gegenständlich umzusetzen, wie z.B. die »Riesen-Schwertgarde« vor dem Heeresministerium, an die von Hussein erinnernd, die »Dornenkronen-Kathedrale« oder das Portalvorbau-Thema, das an etlichen Gebäuden wiederkehrt und an griechische Kolonnaden erinnert. Monotonie, Öde, Verlassenheit ...

Niemeyer gelang es also, klassische Elemente mit eigenen genialen Einfällen zu verquicken, das Ganze verbunden mit einer hemmungslos lyrischen Note und der unerhörten Kraft, die ihm die Dimension des Vorhabens eingab – denn es stand ja eine ganze Menge auf dem Spiel ... sagen manche. Wir halten diese lyrische Note schlicht für nicht-menschlich, sondern für öde, steril, höchstens zum Angucken, nicht zum Leben.

Von Außer- und Überirdischen

Ironie des Schicksals: das als Aushängeschild für Fortschritt, Modernität und Rationalität gedachte Brasília ist heute Tummelplatz hunderter von Sekten, esoterischer Scharlatane, Wunderheiler, mystischer Gruppen und afrobrasilianischer Kultstätten – angeblich soll die Zahl der Tempel längst Tausend überschritten haben. Da sich diese bedenkliche Entwicklung kaum verbergen läßt, treten die städtischen Fremdenverkehrsbehörden die Flucht nach vorne an und sprechen in ihren Prospekten von Brasília als einer mystischen Stadt ... Niemeyer, Costa und Konsorten dürften sich im Grabe herumdrehen! Ob der in der Bevölkerung virusartig verbreitete Hang zum Okkultismus – und dies keineswegs nur in den armen Satellitenstädten! – eine seelische Spätfolge verfehlten Städtebaus ist? Wir neigen stark zu dieser Annahme. Das ganze Geschwafel von Brasília als einem »magischen Weltzentrum«, einer »Hauptstadt des dritten Jahrtausends«, verbrämt mit pseudowissenschaftlichen oder religiösen Erklärungsversuchen, vermag uns nämlich bestenfalls ein Schulterzucken zu entlocken. Schützenhilfe für derlei Unfug liefert ausnahmweise einmal nicht unser Oberquacksalber Dänicken, sondern der Heilige Bosco, Salesianer im 19. Jahrhundert in Turin – er schaute in einer Vision zwischen dem 15. und 20. Breitengrad in Südamerika das Gelobte Land – oder der Dalai Lama aus Tibet, welcher das geistige Weltenzentrum kurzerhand in die Steppe Goías verlegte. Zitiert werden ferner die seherischen Fähigkeiten Kubitscheks, der angeblich Kontakt mit den Außerirdischen hielt, aber auch ominöse Zahlenspielereien, wie sie seit alters her für die Mystifizierung herhalten müssen (man schlage nur einmal das Alte oder Neue Testament auf): da geht´s kreuz und quer durch die jüdische Kabbala und das alte Ägypten, nur um mit Gewalt die Zahl der Stockwerke irgendeines Gebäudes oder die Nummer eines architektonischen Entwurfs mystisch erklären zu können. Armes Brasília ... Ganz besonders toll treiben es die Esoteriker, Geisterseher und Möchtegernintuitiven im Vale do Amanhecerbei Brasília, dem »Tal der Morgenröte«, die Erfindung einer brasilianischen ... Lastwagenfahrerin. Ein Parkplatz, ein paar verstreute, unansehnliche Häuser, ein Häuschen für die Notdurft, Imbißbuden, Kiosk und ein Ladengeschäft: genau so haben wir uns den Aufbruch ins Dritte Jahrtausend immer vorgestellt. Wer den nahen Hügel erklimmt, blickt aufs Herzstück der ganzen Anlage: einen sternförmigen See, umgeben von allerlei bemaltem Beton und farbigen Blechschildern, das Ganze umwabert von irgendwelchen geheimnisvollen Energien ... Keine Scharlatanerie scheint in Brasilien (und weiß Gott nicht nur da!) abstrus genug sein zu können, ohne dass eine Handvoll riemengeschürzter Kapuzenträger ihr auf den Leim gingen. Dass der ganze Hokuspokus in Brasilien längst gesellschaftsfähig geworden ist und bis hinauf in die Direktionsetagen der Wirtschaft und in hohe Regierungskreise hineinwirkt, stimmt bedenklich und läßt für die Zukunft des Landes einiges befürchten.