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19. und 20. Jahrhundert

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Die Zeit der Akronyme

Korsika nach der französischen Revolution

Gemessen an seiner konfliktträchtigen Vergangenheit hat Korsika die beiden letzten Jahrhunderte ziemlich friedlich verbracht. Nach vollzogener Einverleibung ist Frankreich nicht untätig geblieben. Eine gemäßigte, jedoch entschlossene Regierung förderte das Wachstum der Bevölkerung und die Entwicklung der Wirtschaft. Seit 1790 wird Korsika nach dem Vorbild der französischen Départements verwaltet. Die für die Insel typischen Geißeln wie Vendetta, Sippenfehden und Überfälle nehmen zu Beginn des folgenden Jahrhunderts ab.

Napoleon hatte Korsika aus seinem anonymen Dasein herausgeholt; schon 1840 kommt die Mittelmeerinsel richtig in Mode. In seiner Novelle Colomba leistet Prosper Mérimée dem Mythos eines lodernden, finsteren Korsikas Vorschub, vergleichbar dem Spanien in »Carmen«. Alsbald kommen der Insel auch technische Neuerungen wie Straßen und Eisenbahnlinien zugute, wenn auch mit Verspätung.

Der Zweite Weltkrieg liefert den Korsen erneut Gelegenheit zu glänzen. In seiner Eile, Korsika an Italien »zurückzugeben«, bricht Mussolini die Waffenstillstandsvereinbarungen und besetzt kurzerhand die Insel vor seiner Haustür. Ein korsischer Widerstand bildet sich heraus. Das Unterseeboot »Casabianca« überwindet tausend Gefahren, um die Verbindung mit Algier aufrecht zu erhalten. Das Jahr 1943 wird die Résistance noch teuer zu stehen kommen, aber am 24. Juli, endlich, wird Mussolini gestürzt. Eine deutsche SS-Brigade unterstützt die demoralisierten Italiener. Am 8. September gibt die Kapitulation Italiens das Signal für den Aufstand. Die »Casabianca«, gefolgt von zwei Zerstörern, setzt 109 Mann auf der Insel ab. Am 4. Oktober ist Korsika das erste befreite Département Frankreichs.

Auch wenn es nicht mehr so explosiv wie unter genuesischer Knute anmutet, hat sich für das »korsische Problem« nie eine echte Lösung gefunden. Dabei sind zahlreiche Reformen eingeleitet worden. In den Jahren 1949 und 1958 wurden zwei Pläne zur Förderung der Wirtschaft und der Landwirtschaft eingebracht, die sich jedoch weitgehend als Mißerfolg erwiesen, denn Korsika blieb zunächst eine ökonomische Wüste. 1970: die Insel trennt sich von der Région Provence-Alpes-Côte d´Azur; Schaffung einer eigenen Verwaltungs- und Wirtschaftsregion Korsika; Einrichtung von zwei Départements und der Universität von Corte; massive Investitionen des Staates und ... wieder nichts!

Nach 1958 siedeln rund 17.000 Algerienfranzosen, die sogenannten Pieds Noirs, im Ostteil der Insel, bei Aléria und Ghisonaccia, und pflanzen in der einst malariaverseuchten Küstenebene Reben und Obstbäume an. Die französische Subventionspolitik für die Pieds Noirs ruft Neid und Ärger unter den Einheimischen hervor, die bald einen kleinen Bürgerkrieg gegen die ihrer Meinung nach Bevorzugten führen. Mit wachsender Verbitterung beobachten sie, wie die rührigen Neuankömmlinge in der fruchtbaren Ebene Riesendomänen aufbauen, Weinberge und Obstplantagen errichten, aber auch Wein panschen, mit Land spekulieren und – wie der Winzer Depeille in Aléria – mit zweifelhaften Finanzmanipulationen die Einheimischen an die Wand drängen.

Am 21. August 1975 besetzt eine Gruppe korsischer Autonomisten unter Edmond Simeoni den Weinkeller (!) eines Algerienfranzosen. Auslöser: der Vorwurf der Weinpanscherei. Grund genug, Polizei, mobile Bereitschaftspolizei (CRS) und Panzerfahrzeuge nach Aléria zu beordern, die besagten Keller umzingeln und schließlich stürmen. Bei der Schießerei werden zwei Polizisten getötet und ein Besetzer verletzt. Simeoni landet im Gefängnis von Fresnes. Ein paar Monate später gründen bewaffnete und vermummte Nationalisten die korsische Befreiungsorganisation Front de Libération Nationale de la Corse (FLNC).

1982: Wahl des ersten korsischen Parlaments (Assemblée de Corse), das mit weitgehenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattet wird. Dieser Schritt in Richtung Selbstverwaltung wird von den Sippen, den Nationalisten und den Rechten bekämpft. Dabei ist in dem von Pierre Joxe ausgearbeiteten Statut das erste Mal die Rede vom »korsischen Volk« – was allerdings schleunigst vom französischen Verfassungsrat verurteilt wird.

Bis 1970 übrigens war die Insel in zwei Départements geteilt, wobei das nördliche zum Département Provence-Cote d´Azur zählt. »Teile und herrsche«, lautet der Wahlspruch, und auch die Stationierung der Fremdenlegion – nicht nur »Feuerwehr« in Afrika – auf der Insel, hat ihren Grund.

1993: alles wie gehabt. Die neue konservative Mehrheit in Paris brütete, ohne dabei den Plan Joxe zu verändern, den x-ten Entwicklungsplan aus.

Wie sagte doch der frühere französische Innenminister Charles Pasqua, ein Korse: »Einige haben mir anvertraut, sie wollten sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, einen Korsen als Minister zu sehen.« Inzwischen hat er übrigens mächtig Ärger mit der Justiz: Stichwort Schmiergelder, dubiose Kontakte etc. Wundern tut uns das ehrlich gesagt nicht.

Im Jahr 2000 stimmte Ministerpräsident Lionel Jospin einer größeren Autonomie Korsikas im Gegenzug zu einem Ende der Gewalt zu. Die gaullistische Opposition leistete in der französischen Nationalversammlung Widerstand, da Frankreichs Zusammenhalt nach Ansicht vieler nur durch einen starken Zentralismus gewährleistet werden kann.