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Calacuccia & Niolo

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Wanderungen auf Korsika

Käse und bewaffnete Hirten

Lassen wir zunächst Guy de Maupassant, den französischen Meister der Novelle aus dem 19. Jahrhundert, zu Wort kommen:

»Das ist der Niolo, die Heimstatt der korsischen Freiheit, die uneinnehmbare Zitadelle, aus der die Erobererscharen nie die Bergbewohner haben verdrängen können. Mein Gefährte sagte zu mir: »Dorthin haben sich alle unsere Banditen geflüchtet.« Bald waren wir unten in dieser Senkung; sie war wild und von unvorstellbarer Schönheit. Kein Gras, kein Kraut: Granit, nichts als Granit. So weit das Auge reichte, lag vor uns eine Wüste aus glitzerndem Granit; eine wütende Sonne, die eigens oberhalb dieses steinernen Schlundes aufgehängt worden zu sein schien, heizte ihn wie einen Backofen.

Wenn man den Blick zu den Bergkämmen erhebt, stutzt man geblendet und bestürzt. Sie sehen rot und zackig aus wie Korallenstöcke, denn sämtliche Gipfel bestehen aus Porphyr; und der Himmel darüber wirkt violett und lila; er büßt durch die Nachbarschaft dieser seltsamen Berge seine Farbe ein. Der Granit weiter unten ist von schillerndem Grau, und zu unsern Füßen sieht er geraspelt und zermahlen aus; wir gehen auf leuchtendem Pulverstaub. Zu unserer Rechten tost und fließt ein reißender Gebirgsbach. Und man gerät ins Taumeln bei dieser Hitze, in dieser Lichtfülle, in diesem glühenden, ausgedörrten, wilden Tal, das durch die Schlucht mit dem brausenden Wasser eingeschnitten worden ist, dem Wasser, das eilends von dannen zu fliehen scheint, weil es außerstande ist, die Felsen fruchtbar zu machen, weil es sich in diesem Glutherd verloren glaubt, der es gierig trinkt, ohne je davon durchdrungen, dadurch erfrischt zu werden.« (Guy de Maupassant: Ein korsischer Bandit, 1882).

Kein Gras, kein Kraut – das ist leicht übertrieben, außer für die Scala di Santa Regina, einen unwirtlichen Engpaß, der offensichtlich aus nichts als Granit besteht. Ganz gleich, ob man seinen Weg über die Scala oder den Col de Vergio nimmt, der Anblick birgt manche Überraschung. Hier befinden wir uns im Herzen Korsikas, seinem harten Kern oder seiner »unberührbaren Seele«. Die abgeschlossene Hochgebirgslandschaft umgeben die höchsten Gipfeln der Insel: der Monte Cinto (mit 2.710 m der höchste Gipfel), der Paglia Orba (2.525 m), der Capu Verdattu (2.586 m) usw. Wahre Wunder der Natur!

Einundzwanzig Kilometer lang windet sich die Straße von Pont de Castirla durch die Schlucht, in welcher der Golo, der heute nach Bau des Stausees zu einem bescheidenen Rinnsal verkommen ist – 555 Meter tief bis zum Meer hinaufrauscht. Zu Nadeln und Tafeln abgeschliffen, bizarr verwittert und immer wieder voll der so für Korsika typischen Tafoni, wild zerrissen, zerklüftet und ineinandergekeilt zeigt sich das kahle, rötliche Gestein. Kaum irgendwo klammern sich ein paar Büsche oder ein Baum fest. Abenteuerlich ist der Verlauf der Straße, die zeitweilig hoch über dem Fluß die Felswand entlangläuft, sich unter Überhängen und zwischen Felsen hindurchzwängt, mit kleinen Bogenbrücken kleine Seitentäler überwindet und oft genug in den Fels gesprengt werden mußte. Manchmal läßt sich noch der alte Weg entdecken, der bis zum Bau der 1889 fertiggestellten Straße das Niolo mit Corte verband, und der stellenweise nichts anderes war, als eine in die Felswand geschlagene Treppe.

In dieser weltabgeschiedenen Enklave trifft man immer wieder auf Korsen mit blauen Augen und heller Hautfarbe, die wohl die letzten Nachfahren jener ersten Inselbewohner sind, die sich in die Berge geflüchtet hatten und nicht mit den Eindringlingen vermischten, die übers Meer kamen. Der Niolo gilt seit jeher als das Land der Schäfer und alten Bräuche, als eine von Felsen und kargen Hochweiden bestimmte Landschaft. Bis zum Ende des 19. Jhs war die Gegend nur über schmale Hirten- und Saumtierpfade erreichbar. Noch heute kann man im Frühjahr und im Herbst Hirten begegnen, die mit geschultertem Gewehr unterwegs zu den Weideplätzen an der Küste sind. Niolo-Käse muß jeder einfach versucht haben: seine Masse ist weich, aber richtig gut schmeckt er erst, wenn das Innere fest, ölig, ohne Löcher und ganz reif geworden ist.

Vergessen wollen wir auch nicht die Wurst- und Fleischerzeugnisse, die zu den besten auf Korsika zählen, da sie in der gesunden Bergluft konserviert werden.

Als erstes lassen wir aber den Wagen für zwei Tage oder mehr stehen, um das Umland von Calacuccia per pedes zu erkunden. An Gelegenheiten zu unvergeßlichen Wanderungen herrscht kein Mangel; wir erwähnen im folgenden noch einige der schönsten Routen. Der Niolo ist schließlich das Königreich aller Wanderer.