Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Korsische Banditen

Body: 

Diese fragwürdigen Helden

... auch »Banditen aus Ehre« (Bandits d´honneur) genannt, sind Bestandteil der Inselmythologie. Ihr Geschick geht oft mit jenem der Vendetta einher. Die klassische Vorgeschichte: Vincentello rächt die verlorene Ehre seiner Schwester, indem er den Schuldigen ins Jenseits befördert. Um seinerseits einer Rache und lästigen Nachstellungen seitens der Polizei zu entgehen, begibt sich Vincentello nach alter Väter Sitte in die westkorsische Macchia, wo das Niolo oder Liamone bekanntlich ausgezeichnete Unterschlupfmöglichkeiten bieten. Er ist also zum Banditen geworden. Seine Familie wird zu ihm halten, schließlich hat er ja die Ehre der Sippe verteidigt. In den Augen des Gesetzes macht sie sich mitschuldig; möglicherweise wird sie ihm sogar in die Macchia folgen.

Für die Korsen stellen die Banditen oftmals ein für einen Festlandseuropäer unverständliches und mit dem Rechtsstaat nicht zu vereinbarendes Ideal dar. Im 19. Jh. machten die korsischen Banditen Furore: Zeitschriften und eine ganze Reihe populärer Bücher machten aus ihnen romaneske Helden, vom Schicksal auserwählte, nach Freiheit dürstende und sich gegen die etablierte Ordnung auflehnende Racheengel bzw. Rächer wider Willen. Historisch gesehen erklärt sich die Verbreitung des Banditentums durch die während der Dritten Französischen Republik betriebene politische Unterdrückung auf Korsika. Auch die großen französischen Schriftsteller dieser Zeit begeisterten sich für dieses fast schon shakespearianische Thema: Prosper Mérimée in »Colomba« (s. auch Menüpunkt »Vendetta«) sowie Alexandre Dumas in »Les Frères Corses«, schließlich Guy de Maupassant in einer Novelle mit dem einfallsreichen Titel: »Ein korsischer Bandit«.

In den südkorsischen Dörfern kursieren bis auf den heutigen Tag noch zahlreiche, die Legende stets aufs Neue auffrischende Geschichten. In Vico, Guagno oder Bocognano wird man vielleicht die Abenteuer des einen oder anderen Banditen zu hören bekommen, in denen sich ein Hauch von Wehmut und Stolz mit einer Prise Belustigung vermischen ...

  • Der erste namhafte korsische Bandit hieß Tiadore Poli. Er stammte aus Guagno. Wegen Fahnenflucht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, floh er und tötete bei der Gelegenheit seine Wärter. Zusammen mit ein paar weiteren Kämpen gründete Poli eine kleine Gemeinschaft im Wald von Aitone, wo er wie ein kleiner Diktator herrschte. Die Verfassung, für die sie sich entschieden hatten, räumte Poli das Recht über Leben und Tod ein. Der »König der Berge« erpreßte sogar Kirche und bessergestellte Bürger (Mitglieder der F.D.P.?), und gewann durch sein Revoluzzergebaren die Sympathie der einfachen Bevölkerung. Niemand wagte es, eine Zahlung zu verweigern. Jagd, Fischfang, die Herden und die Unterstützung durch ihre Familien genügten zur Ernährung der Männer. Die Behörden wollten diese unbequeme Person natürlich loswerden und entsandten ein Expeditionscorps, ein Bataillon korsischer Füsiliere. Poli entkam, geriet 1827 jedoch durch Verrat in einen Hinterhalt.
  • Ein anderer berühmter Bandit namens Cappa entwischt jahrzehntelang den Gendarmen und erfreut sich aufgrund seiner Pfiffigkeit größter Beliebtheit beim Volk. 1895 jedoch ereilte ihn sein Schicksal: Cappa wird in seiner Hirtenhütte erschossen. Zur gleichen Zeit hielten die Bonelli aus Bocognano, Bellacoscia (schöner Schenkel) genannt, von 1848 bis 1892 die Staatsmacht in ihrem unzugänglichen Schlupfwinkel von Pentica in Schach. Mit Antoine Bonelli kam der Typus des mondänen Banditen in Mode. Nach einem Verbrechen hielt er sich vierzig Jahre lang in den Bergen versteckt und führt seine Verfolger ständig an der Nase herum, indem er sich öffentlich mit bekannten Persönlichkeiten sehen ließ. Sogar Schriftsteller, Präfekten, Angehörige der Verwaltung und andere hochgestellte Persönlichkeiten empfingen die Bonelli und stellten ihnen, wie es heißt, Geleitbriefe aus. Nach vielen Morden, die Antoine zusammen mit seinem Bruder Jacques beging, wurde auf ihre Köpfe eine Prämie ausgesetzt, aber trotz einer Auslobung von 50.000 Franken konnte man ihrer nicht habhaft werden. Um seinen guten Willen zu bekunden, ergab er sich schließlich 1892 der Polizei. Freigesprochen, jedoch nach Marseille verbannt, verlor er keine Zeit, nach Korsika zurückzukehren. Sein Bruder Jacques hatte sich in der Strafanstalt von Chiavari einen Stempel anfertigen lassen, mit dem er seine Briefe versah: »Der Unabhängige Jacques Bonelli, genannt Bellacoscia.«
  • Antonmarchi, mit dem Beinamen Gallocchio, auch Herr der Maccia genannt und zunächst für den Dienst der Kirche bestimmt, wurde von seinem Vater gezwungen sie zu verlassen, um die Kontinuität der Familie zu sichern. Nach der jähen Auflösung seines Verlöbnisses wurde er zum Mörder.
  • Der verrückteste Bandit von allen ist und bleibt indes Spada. Er war mehrfacher Mörder und Erpresser, trennte sich aber gleichwohl niemals von seinem Kruzifix – genau wie Madonna! Spada taucht in Priester- oder Frauenkleidern stets dort auf, wo man ihn nicht erwartet, um neue Missetaten zu begehen. Schließlich läßt sich der »Tiger«, wie er genannt wird, zur äußersten Provokation hinreißen: er zitiert die Presse in seine in der Macchia versteckte Hütte, die er aus diesem Anlaß pompös »seinen grünen Palast« nennt. Ein Jahr später wird Spada festgenommen und in eine psychiatrische Anstalt gesteckt. Seine Karriere endet 1935 schließlich auf dem Schaffott.

    Das Phänomen des korsischen Banditen(un)wesens nahm derartige Ausmaße an, dass sich die französische Regierung 1931 gezwungen sah, drastische Gegenmaßnahmen zu ergreifen: über sechshundert mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten wurden in das Innere der Insel geschickt. Die Dörfer wurden einzeln durchgekämmt, ihre Bewohner verhört, die Waffen beschlagnahmt ...

    Angesichts dieser umfangreichen Operation entsandte die internationale Presse regelrechte Kriegsberichterstatter! Die »Säuberung«, gefolgt von Hunderten von Festnahmen und einigen Hinrichtungen, setzte dem Banditentum auf Korsika fast ein Ende. In der Folgezeit traten die vermummten korsischen Nationalisten auf einem zwar ganz anderem Gebiet, dennoch nicht ohne Ähnlichkeiten, die Nachfolge der Bandits d´honneur an.