Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Wirtschaft

Body: 

Gesellschaftlicher Fortschritt auf schwedisch

Der soziale Frieden

Man mag es drehen und wenden, wie man will: Schweden bleibt eine der fortschrittlichsten Gesellschaften auf der Welt. Dem Einzelnen werden enorme Freiräume eingeräumt, älteren Menschen und Behinderten tiefer Respekt entgegengebracht. Der Sinn für Kompromisse und die fortwährende Suche nach Gleichgewicht und Harmonie in allen Entscheidungen, wobei letztere anschließend regelmäßig wieder in Frage gestellt werden, sind auffällig stark ausgeprägt.

Schweden ist es gelungen, sogar den Ärmsten einen bescheidenen materiellen Wohlstand zu bieten. Ein Gesetz schützt die Rentner, die eine Mindestrente erhalten, und erlaubt ihnen somit, ihren Lebensabend unter akzeptablen Bedingungen zu verbringen. Wirtschaftlich gesehen hat Schweden nach dem Krieg einen bedeutenden Aufschwung erlebt und die letzte Krise eher schadlos überstanden, wahrscheinlich aufgrund des hier herrschenden sozialen Friedens. Dieser soziale Frieden ist übrigens ein Produkt des im Jahre 1938 zwischen der mächtigsten Gewerkschaft, der LO, und der Arbeitgebervereinigung SAF getroffenen Vereinbarung, welche die Partner zwingt, zu gegebener Zeit die kollektiven Abmachungen neu zu verhandeln, ohne zu Streik oder gar Aussperrung zu greifen. Trotz einiger Verstöße gegen dieses Prinzip – 1980 etwa drohte ein Arbeitskampf sich zu einem Generalstreik auszuweiten – bleibt doch der echte Wunsch, gemeinsam eine für alle akzeptable Lösung zu finden. In unseren Breiten mutet eine solche Quasi-Solidarität auf der Suche nach der gerechten Mitte schon etwas ungewöhnlich an, ist es hierzulande doch eher üblich, seine eigenen Interessen so nachhaltig wie möglich durchzusetzen, wobei der Zweck häufig genug alle Mittel zu rechtfertigen scheint.

Die Kehrseite der Medaille: der behütende, allseits gegenwärtige Staat nimmt zunehmend Raum ein. Der schwedische Bürger fühlt sich manchmal überprotegiert, was zu einer Standardisierung der Gesellschaft und einer extremen Individualisierung führen kann. Zu den Vorteilen gehören aber zweifellos die Effektivität, Einfachheit und Durchsichtigkeit der schwedischen Verwaltung, welche sich auf knappe und einfache Gesetze stützt und eher an die Ehrlichkeit des Bürgers als an seine latente Perversität appelliert, was im Ergebnis den ganzen Papierkram auf ein Minimum reduziert. Erinnern wir ferner daran, dass Kinder über wirkliche, einklagbare Rechte verfügen, dass der Verbraucher gegen betrügerische Werbung geschützt wird, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht nur bloßes Gerede ist – so kann auch ein Vater bei der Geburt eines Kindes neun Monate lang Vaterschaftsgeld in Anspruch nehmen – und dass die Pressefreiheit schier grenzenlos ist (das Ergebnis: die Zeitungskioske quellen vor Porno-Zeitschriften über).

Darf Schweden insgesamt auch als wohlhabendes Land gelten, so liegen die Lebenshaltungskosten, auch für die Einheimischen, doch empfindlich hoch. Für ein junges Paar bedeutet das heutzutage, dass beide Teile einer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, um nicht schon zur Monatsmitte das Konto zu überziehen. Die städtischen Mieten sind nämlich, genau wie bei uns auch, kein Pappenstiel. Und wer einem Studium nachgeht, braucht dazu zunächst einmal eine Menge Geld. Dafür ließ sich die schwedische Regierung aber was besonders Nettes einfallen: den studielön, Studentenlohn sozusagen. Das ist mehr als ein Bafög, denn erstens bekommen den studielön alle, und zweitens ist ein großer Teil einfach Geschenk, das nicht zurückgezahlt werden muß.

Allerdings sind diese ganzen etwas märchenhaft klingenden Beschreibungen etwas einzuschränken. Schweden ist auch nicht mehr so wohlhabend, wie es mal war, die Krise geht auch an Schweden nicht spurlos vorüber, was beispielsweise an den Arbeitslosenzahlen sehen kann.