Umstrukturierung

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Wirtschaft im Wandel

Der Umbau

Die Viehzüchter (Araten) hatten sich den »goldenen Westen« wie im Bilderbuch vorgestellt. Die heimische Wirtschaft, von Asiens größtem Kupferbergbau im nördlichen Erdenet bis zum Nomadenladen in der südlichen Gobi, sollten per Bezugsschein vom »Volkseigentum« in den privaten Besitz übergehen. Pro Kopf der 2,3 Millionen Einwohner stellte die Regierung Gutscheine in Höhe von 10.000 Tugrik zur Verfügung. Grüne Voucher berechtigten zum Kauf von Anteilen kleiner Unternehmen wie Läden oder Restaurants, blaue dienten dem Aktienkauf für die Industrieunternehmen. Doch die Privatisierung kam nur langsam voran.

Ursprünglich hatten auch rote Gutscheine für die Viehherden ausgegeben werden sollen, aber die Farbe wollte keiner. Außerdem hatten die Kooperativen ihren Tierbestand längst auf unbürokratische Weise privatisiert. Wer die Herde betreute, war nun auch ihr Besitzer. Marktwirtschaft auf mongolisch.

Erst langsam greifen die Wirtschaftsreformen. Trotz der Krise will die Mehrheit der Mongolen keine Rückkehr zum Sozialismus. Als letzter trat bei den Präsidentenwahlen 1992 der Publizist Tudev mit dieser Parole an ' der Marktwirtschaftler Ochirbat gewann mit 57,8 Prozent. Mit China, Japan und Korea will die Mongolei sich an einer Nordostasiatischen Wirtschaftszone beteiligen. Im August 1991 wurde mit China ein Abkommen über mongolischen Transitverkehr zur See und zu Lande durch chinesisches Territorium unterzeichnet. Damit erhielt die Mongolei Zugang zum Seehafen Tianjin.

Die Mongolei hat aber international durch die völlig friedliche Demokratisierung ein positives Image gewonnen. Dadurch ist zu erwarten, dass andere Staaten bereit sind, bei der Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen. Das Außenhandelsmonopol des Staates wurde 1990 aufgehoben. Bald begannen Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank und führende Industrienationen, vor allem USA, Japan und Deutschland, Hilfe zu leisten.

Feudalgesellschaft

Vor 70 Jahren setzten Schneestürme, strenge Fröste und schwankende Niederschläge den Herden stark zu. Anbau und Vorratshaltung von Futterpflanzen waren unbekannt. Selbst Heu wurde nicht genutzt, denn man glaubte, totes Gras sei giftig. Damit waren die Herden auch während des Winters allein auf die freie Weide angewiesen.

Wenige große Familien und die buddhistische Priesterschaft (40% der erwachsenen männlichen Bevölkerung) besaßen den größten Teil des Bodens und mußten von den Araten miternährt werden. Am Ende des 19. Jh. gehörten die Klöster zu den größten Land- und Viehbesitzern. Die rückständige Wirtschaftsstruktur hatte sich seit dem Reich Dschingis Khans kaum geändert und basierte auf einer extensiven nomadisierenden Viehwirtschaft. Nicht nur die leibeigenen Araten, sondern in der Regel auch der Adel nahmen an den Nomadenzügen teil.

Araten auf Wanderschaft

Der Nomadenzug vollzog sich meist in kleinen Wirtschaftsgemeinschaften, die als »ail« bezeichnet wurden. Mehrere Familien, in der Regel drei bis sechs, schlossen sich zusammen und zogen mit ihren Schafen, Ziegen, Pferden, Rindern, Yaks und Kamelen innerhalb des Herrschaftsbereiches ihres adeligen Oberherrn, dem sie hörig waren, von einem Weideplatz zum anderen. Je nach den natürlichen Bedingungen wurde der Standort der Viehhirten und ihrer Familien vier- bis vierzigmal im Jahr gewechselt. In den futterarmen Wüstensteppen und Wüsten der Gobi wurden dabei alljährlich bis zu 300 km zurückgelegt.

Die Ernährung der Araten war zum größten Teil auf die eigenen tierischen Produkte abgestimmt: Fleisch und Milchwaren. Lebensnotwendiges wie Mehl und Ziegeltee (fest gepreßter grüner Tee, der in einem Mörser zerstampft und dann aufgekocht wird) sowie Gebrauchsgegenstände wie Seide und andere Stoffe wurden aus den chinesischen und russischen Nachbargebieten im Tausch gegen lebendes Vieh, Wolle und Felle bezogen. Die Vermittlung erfolgte über chinesische oder russische Händler, die ihre Niederlassungen in Verwaltungs- und Klostersiedlungen hatten.

Trotz ihres äußerst bedürfnislosen Lebens waren die Araten bei den chinesischen Händlern infolge der für die Waren geforderten Wucherpreise stark verschuldet. Um 1920 befanden sich rund 57% des Viehbestandes im Besitz von 138 weltlichen Großgrundbesitzern und 2749 Klöstern.

Ackerbau, Industrie, Handwerk

Ackerbau war so gut wie unbekannt. Er wurde nur auf kleinen Flächen von westmongolischen Stämmen oder von chinesischen, zum Teil auch russischen Kolonisten betrieben. Gab es um die Jahrhundertwende nur 70.000 ha Anbaufläche, so sind es heute über eine Million Hektar.

Industrie gab es vor 1920 praktisch nicht. In Altanbulag an der mongolisch-russischen Grenze wurde eine kleine Lederfabrik betrieben. In Urga waren eine Ziegelei, zwei primitive Handdruckereien und ein kleines Elektrizitätswerk mit einer Leistung von 60 Kilowatt in Betrieb - mehr nicht.

Auch die handwerkliche Fertigung hatte einen geringen Entwicklungsstand und war im wesentlichen auf den Eigenbedarf abgestimmt. Leder, Wolle, Metallverarbeitung und Filzherstellung standen dabei an erster Stelle. Die größten Werkstätten befanden sich in den Händen von chinesischen und russischen Kaufleuten. In den Klöstern war das Handwerk auf die Anfertigung von Kultgegenständen ausgerichtet. Das Kunsthandwerk stand hier in hoher Blüte. Maler, Holzschnitzer und geschickte Künstler schufen seidengestickte Heiligenbilder, Buddhafiguren und kunstvolle Gold- und Silberschmiedearbeiten.

Die handwerkliche Tätigkeit der Araten war dagegen zweckbestimmt. Der russische Autor Majskij schreibt 1921 darüber: »Die Mongolen selbst befassen sich mit primitiver Verarbeitung von Viehwirtschaftsprodukten. Sie walken Filz aus Schafwolle, fertigen Schafspelze und Pelzmützen, weißgegerbtes Leder und Riemen an und spinnen Garne. Aber diese Produktion dient nur ihren eigenen Bedürfnissen und trägt einen völlig handwerklichen Charakter. Hier ist fast jede Jurte eine Werkstatt.«

Bodenschätze, Transport

Die reichen Bodenschätze blieben fast ungenutzt. Erst auf russische Initiative begann 1915/16 im Gebiet von Nalaich, 37 km südöstlich von Urga, die Nutzung der dortigen Braunkohlenvorkommen. 1919 waren in den primitiven Tiefbaugruben 40 Arbeiter beschäftigt ' es war die größte Produktionsstätte des Landes.

Im Changai und Chentii wurden an einigen Stellen Goldwäschereien betrieben. Aus zahlreichen Salzseen des Landes gewann man Kochsalz. Doch das waren ausnahmslos kleine Unternehmen, die in der Regel Russen oder Chinesen unterstanden.

Warentransport und Personenverkehr erfolgten nur mit Trag- und Reittieren. Ein ausgebautes Straßennetz existierte nicht. Alle Transporte gingen über eingefahrene Naturpisten.