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Identität

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Rassismus und Schmelztiegel

Die neue Identität und das Wissen um die eigenen Ursprünge

Zusammengewürfelt aus drei Kontinenten, stellt La Réunion mit seinen 675 000 Einwohnern
die höchste Bevölkerungszahl eines französischen Überseedepartements. Besucher fasziniert
vor allem die Harmonie, in der die verschiedenen Volksgruppen augenscheinlich vorurteilsfrei zusammenleben.

Réunion scheint keinen Rassismus zu kennen. Oder täuscht der erste Eindruck?

Afrikanische Sklaven, die gegen ihren Willen auf die Maskarenen verschifft wurden, und
reiche Europäer, die in den ehemaligen Kolonien ihr Glück suchten: vor einigen Jahrhunderten wagte noch niemand daran zu denken, dass einmal Toleranz und Gleichheit auf La Réunion vorherrschen würden, zu tief die Gräben, die jahrzehntelange Unterdrückung ausgehoben hatte.

Das Ende der Sklaverei bedeutete nur einen ersten Schritt der Annäherung, denn noch war die gesellschaftliche Spaltung zu groß, um von einem wirklichen Gefühl der Gleichheit zu sprechen. Mit der Zuwanderungswelle chinesischer und indischer Vertragsarbeiter stärkte sich das Identitätsbewußtsein der einstigen Sklaven, die sich ihrer Rolle als Einheimische bewußt wurden und den Fremden zunächst mit Geringschätzung begegneten.

Die Barrieren, welche die Volksgruppen voneinander trennten, verschwanden im Laufe der Zeit, und doch blieb man seinen Ursprüngen verbunden. Am stärksten vermischten sich die Bewohner afrikanischer und europäischer Herkunft, so dass man heute die verschiedensten Hautfarben auf der Insel antrifft.

Die Palette reicht von einem blassen Weiß bis hin zu dunklem Kaffeebraun, und häufig
tauchen in ein und derselben Familie die unterschiedlichsten Nuancen auf.

Auch die indischen und chinesischen Bewohner haben sich der »Durchmischung« nicht
verschlossen, wenngleich sie vor allem in religiöser Hinsicht sehr stark mit ihren Traditionen verbunden blieben.

Menschen verschiedener Nationen sind auf Réunion zusammengewachsen. Man hat Krisen
und Kriege zusammen überstanden und entgegen jeglicher Voreingenommenheit eine neue
Gesellschaft erschaffen. Eine tolerante Gesellschaft mit selbstbewußter Identität. Ein großer Teil der Bewohner Réunions fühlt sich nicht als Schwarz oder Weiß, nicht als Franzose, Europäer oder Afrikaner, man fühlt sich schlicht kreolisch und das hat eben ein wenig von allem mit einer eigenen charmanten Note.

Wer jedoch davon ausgeht, Rassismus und Neid gebe es nicht, der liegt falsch. Auch wenn
verschiedene Religionen und Hautfarben in beispielloser Eintracht zusammenleben können,
sollte man nicht vergessen, dass oft auch heute noch die Herkunft mit einem gesellschaftlichen Status verbunden und die finanzielle Situation der Minderheiten sehr unterschiedlich bemessen ist.

Wo gutbezahlte Beamte aus dem französischen Mutterland einer hohen Zahl arbeitsloser
Einheimischer gegenüberstehen und mit neuen Einwanderen aus den ärmeren Nachbarstaaten
Minderheiten entstehen, die unter demselben Gefühl der Benachteiligung und
Geringschätzung zu leiden haben wie ehemals die indischen oder chinesischen
Vertragsarbeiter, ist es unrealistisch zu glauben, es würden keine sozialen Spannungen
entstehen.

Selbst wenn die Vorstellung, auf Réunion einer vorurteilsfreien Gesellschaft zu begegnen ein wenig übertreiben ist, sucht die Toleranz die sich die Angehörigen der verschiedenen
Glaubensrichtungen und Abstammungen entgegenbringen weltweit ihresgleichen.

Die Frage, ob eine multikulturelle Gesellschaft Bereicherung oder Entfremdung bedeutet,
stellt sich auf der Insel schon seit vielen Generationen niemand mehr.