DIE QUEBEC-FRAGE

Freiheit für Quebec!

Seit 1960 hat sich eine Menge geändert: die Gesellschaft Quebecs hat eine unverkennbare Wandlung vollzogen. Ehrgeizige Energieprogramme, Industrialisierung und ein frischer Wind mit neuen Ideen haben die Provinz auf der internationalen Bildfläche erscheinen lassen.

1967 wurde die Hundertjahrfeier der Staatsgründung Kanadas vor dem Hintergrund der Weltausstellung in Montreal begangen. Dieses Ereignis verschafft Quebec die Gelegenheit, die anderen kanadischen Provinzen zu überflügeln und sich international in Szene zu setzen. Als das Ende des Jahrzehnts naht - eine weltweit überaus bewegte Zeit - kämpfen die Separatisten unter René Lévesque bei den Wahlen mit politischen Mitteln für die Unabhängigkeit, während radikale Aktivisten und Extremisten der FLQ weitergehen und erste Terroranschläge begehen (Ermordung des Arbeitsministers von Quebec, Entführung des britischen Trade Commissioners usw.). Hintergrund der separatistischen Bestrebungen war die latente Angst der Quebec-Kanadier vor einer schleichenden Anglisierung ihrer Provinz - über eine Million frankophone Kanadier in Ontario und Neu-Braunschweig mußten sich schließlich gegen eine schleichende Assimilierung durch ihr anglophones Umfeld zur Wehr setzen. Hinzu kam die wirtschaftliche Hintanstellung und Unterrepräsentation in Spitzenpostionen der Politik und Wirtschaft, eine Katze, die sich gewissermaßen in den Schwanz biß: je mehr sich die widerspenstigen Frankokanadier abschotteten und zu nationalistischen Parolen hinreißen ließen, um so stärker wandte sich das vornehmlich aus den Vereinigten Staaten ins Land fließende Kapital von der französischsprachigen Provinz ab und investierte anderswo. In diesem aufgeheizten Klima läßt der damalige französische Staatspräsident de Gaulle, der wohl einen Augenblick lang vergessen hatte, dass Quebec die mit Hitler verbündete Regierung in Vichy unterstützt hatte, jenen kleinen Satz fallen, der den Kanadiern den Atem stocken läßt: »Es lebe das freie Quebec!«. De Gaulle, ein respektierter Mann und eine respektable Figur auf internationalem Parkett, unterstützt damit öffentlich, was andere bis dahin für eine wahnwitzige Vorstellung einiger jugendlicher Aufrührer gehalten hatten! Viel Tinte ist geflossen, um diesen Satz - oder besser: diesen Ruf - hinterher zu erklären und zurechtzubiegen. Mit ein wenig Abstand betrachtet bleibt die plausibelste Erklärung, dass de Gaulle die Gelegenheit nutzte, um ein wenig Verwirrung bei den Engländern und Amerikanern zu stiften ... Man darf nicht vergessen, dass die Erfahrung von Jalta sich tief bei ihm eingegraben hatte und er den Geist eines französischen Widerstandskämpfers in sich trug!

Außer dem psychologischen Schock, den dieser Satz zur Folge hatte, geschah jedoch nichts. Frankreich unterstützte die Frankokanadier nicht in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen ... Statt dessen ergriff 1968 eine Art Trudeau-Fieber das ganze Land, dessen jugendliches Image für frischen Wind in der kanadischen Politik sorgte, den separatistischen Bestrebungen in Quebec aber auch nicht abzuhelfen vermochte.

Ungeachtet dieser nicht erfolgten Hilfeleistung durch das ehemalige Mutterland gründete René Lévesque, ein einflußreicher Fernsehjournalist aus Quebec, welcher der liberalen Partei den Rücken gekehrt hatte, die radikale Unabhängigkeitspartei »Parti Québécois«. 1970 erlangte sie 24 % der Stimmen und einige Sitze im Parlament. Zu diesem Zeitpunkt gründen einige junge, ungeduldige Frankokanadier - bei den Anglokanadiern als Extremisten und Terroristen angesehen - die wenig Vertrauen in die institutionellen Wege setzen, die »Front de Libération du Québec« - die Befreiungsfront für Quebec, kurz FLQ - die sich die staatliche Unabhängigkeit der Provinz auf die Fahnen schrieb und die Provinz mit terroristischen Anschlägen überzog.