Motivation

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Wegen Liebeskummer nach Kanada

Wunderschönes Vancouver

Lösungen statt Probleme – Kanadisches Denken

Als ich zum ersten Mal in Kanada war, gab es zwei Gründe: Liebeskummer und Arbeit. Für mich war Kanada bis dahin ein blinder Fleck auf der Landkarte gewesen. Die USA und Kanada waren für mich dasselbe. In den USA war ich öfter gewesen: Kennste das eine, kennste auch das andere, dachte ich …

Als meine Beziehung auseinanderging, wollte ich Deutschland verlassen. Weit weg. Und da ich das Notwendige (das Weggehen) mit dem Nützlichen (etwas Lernen) verbinden wollte, meldete ich mich zu einem Kurs an. Ich bin Sprecherzieherin und war neugierig auf einen Ansatz in der Sprecherziehung, den ich noch nicht kannte.

Ich bin ohne jede Erwartung ins Flugzeug gestiegen, aber mit dem Plan, an einem fünfwöchigen Kurs teilzunehmen, meinen Liebeskummer in den Griff zu kriegen und dann wieder nach Deutschland zurückzukehren, um ein "deutsches" Leben zu führen – Job, Mann, Kind(er), Auto, Haus - in beliebiger Reihenfolge.

Ich hatte keine Vorstellung von Vancouver. Klar hatte ich einen Lonely Planet Reiseführer durchgeblättert, aber mit Reiseführern ist es wie mit Pullovern aus dem Katalog: man bekommt eine Ahnung, wie er aussehen soll, und beim Auspacken und Anprobieren ist alles ganz anders.

Ich wage zu behaupten, dass niemand, der herkommt, auf die überwältigende Schönheit der Stadt vorbereitet ist. Ich erinnere mich, auf dem Weg ins Hotel im Taxi zu sitzen, wobei sich in meinem Kopf die Gedanken "O Gott ist das schön" und "O Gott, ist das grün" abwechselten.

Drei Tage später fing der Kurs an. Wiederum zwei Tage später wußte ich, dass ich genauso arbeiten möchte.

Mein Studium in Deutschland war sehr trocken gewesen; wenig Feuer und Leidenschaft bei der Vermittlung, wie mit der Stimme gearbeitet werden kann. In Kanada habe ich etwas gefunden, wonach ich lange gesucht hatte: Leidenschaft und die Freude am Unterrichten. Menschen, die andere fördern, ohne die Angst, dass der andere besser sein könnte. Etwas, was ich als sehr deutsch empfinde, ist die Angst vor der Konkurrenz. Das ist hier anders.

Ich habe einen fünfwöchigen Kurs mitgemacht, meinen Liebeskummer bezwungen und bin auch, wie geplant, anschließend wieder nach Hause zurückgekehrt. Allerdings nicht, um ein "normales" Leben hier zu führen, sondern um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen, um wieder nach Kanada gehen zu können. Ich habe erst ein Aufbaustudium in Toronto abgeschlossen und bin danach nach Vancouver gezogen. Wenn ich morgens aufwache, schaue ich auf die Berge. Wenn ich morgens meinen Kaffe kaufe, werde ich mit "Hey, how are you" begrüßt und mit "Have a wonderful day" verabschiedet. Steige ich in den Bus, sagt die Busfahrerin "Good morning, honey" und wenn ich aussteige, schmettern ich und zehn andere Aussteigende ein "Thank you, driver" nach vorne. Die Leute lächeln auf der Straße. Deutsche erkenne ich mittlerweile, bevor sie den Mund aufmachen, am strengen Gesichtsausdruck nämlich. Als ich im Winter wieder daheim war, und die Bäckerin mit "Hallo, wie geht´s Ihnen heute" angesprochen habe, wußte sich die kaum, was sie antworten sollte.

Vermisse ich Deutschland: Ja! Sehr sogar! Ich vermisse die Eßkultur, ich vermisse das ungezwungene Verhältnis zum Körper (manchmal tagträume ich davon, nackt in der Sauna zu sitzen statt mit Badeanzug), ich vermisse meine Sprache und meine Familie und meine Freunde. Aber ich bekomme dafür etwas, was unbezahlbar ist: Das Gefühl, dass alles möglich ist. Die Deutschen denken in Problemen und Beschränkungen, die Kanadier in Lösungen und Möglichkeiten. Kehre ich irgendwann nach Deutschland zurück? Auf jeden Fall! Es ist meine Heimat. Aber zuvor möchte ich noch ein bisschen üben, in Lösungen und Möglichkeiten zu denken.