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Multikulturalismus

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GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT

Verschiedene Gesichter des Multikulturalismus

Wichtig für uns als Besucher des Landes: beim Gang durch kanadische Großstädte wie Toronto, Vancouver oder Montreal finden sich Restaurants jeglicher Couleur, betrieben von Menschen aus allen Teilen der Welt: jamaikanische, polnische, chinesische, italienische, griechische, vietnamesische und was der exotischen Gaumenfreuden noch mehr sind. Wer sich anschließend zu einem Nickerchen ins Hotel zurückzieht und Fernseher oder Radio einschaltet, wird feststellen, dass außer Programmen in den beiden Amtssprachen Englisch und Französisch auch Sendungen in Spanisch, Hindi und Mandarin ausgestrahlt werden. Die multikulturelle Gesellschaft des modernen Kanadas spiegelt sich in ihrer Vielschichtigkeit in allen Facetten des täglichen Lebens wider.

Angeblich wurde der Begriff »Multikulturalismus« sogar in Kanada geprägt: er bedeutet, dass Menschen unterschiedlichster ethnischer oder nationaler Herkunft das Recht haben, ihr kulturelles Erbe zu pflegen und als gleichberechtigte Partner am Leben des Landes aktiv teilzunehmen. Der kanadischen Gesellschaft blieb kaum eine andere Wahl: zu den Ureinwohnern stießen Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts die britischen und französischen Siedler; in den letzten Jahrzehnten des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte Kanada den Zustrom zahlloser Einwanderer auf Ost- und Nordeuropa, die - auf der Suche nach persönlicher Freiheit und einem eigenen Stück Land - das bunte Mosaik weiter bereicherten. In jüngster Zeit kamen Menschen aus allen Teilen der Welt hinzu, so dass der nicht von den beiden Gründernationen abstammende Bevölkerungsanteil bald 40 % erreichte. Dazu zählen in erster Linie Deutsche, Italiener, Ukrainer, Niederländer, Skandinavier, Polen, Indianer, Chinesen, Juden, Inder und Pakistani, Farbige aus Afrika und der Karibik, Ungarn, Griechen, Südslawen, Spanier, Filipinos und Russen: alles in allem siebzig Volksgruppen, die über sechzig Sprachen sprechen.

Alle Sektoren: das kanadische Bildungs- und Erziehungswesen, die Medien, die Wirtschaft, der Kulturbetrieb, Recht und Politik, müssen der kulturellen Vielfalt seither Rechnung tragen. So wird die Erteilung von Unterricht in der »Herkunfts«-Sprache (»heritage languages«) aktiv gefördert und auf mannigfache Weise das kulturelle Bewußtsein gepflegt. Allerdings werden die Muttersprachen außerhalb der regulären Schulstunden unterrichtet.

Bereich Medien: allein in Toronto erscheinen über hundert ethnische Zeitungen und Zeitschriften, z.B. »Homin Ukrainy« (Ukrainisches Echo). Hinzu kommen die ethnischen Programme der Kabelnetze und Rundfunksender.

Auch in der Geschäftswelt haben sich Einwanderer von jeher einen Namen gemacht: Michael Cowpland (Hi-Tech), Alfred Sung (Modedesign) oder die Gebrüder Reichmann (Immobilien und Finanzen) beispielsweise. Letztere zählen zu den weltgrößten Immobilienspekulanten und sorgten Anfang der Neunziger für negative Schlagzeilen, weil ihr Imperium konjunkturbedingt ins Wanken geriet. Häufig handelt es sich um selbständige Tätigkeiten, die sich bei Zuwanderern größter Beliebtheit erfreuen.

Dass die kanadische Kulturszene von Künstlern aus allen Teilen der Welt profitiert, liegt auf der Hand. Beispiele aus jüngster Zeit sind die westindischen Einwanderer Austin Clarke und Cyril Dabydeen oder Romane aus der Feder von Autoren südamerikanischer Herkunft wie Ludwig Zeller und Pablo Urbanyi.

Bei allen positiven Ansätzen werden auch von amtlicher Seite schreiende Ungerechtigkeiten bei der Behandlung von Minderheiten im Lauf der Geschichte eingeräumt. Heute bemühen sich die Kanadier auf allen Ebenen, privaten wie staatlichen, jede Art von Diskriminierung aus dem gesellschaftlichen Leben zu verbannen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung stellte das »Multikulturalismus-Gesetz« von 1988 dar, das die Leitlinien von Gleichheit, Vielfalt und Gemeinschaftlichkeit vorgibt. Die Zukunft wird erweisen, ob sich der Multikulturalismus als identitätsstiftendes Merkmal für die kanadische Gesellschaft wird verwirklichen lassen oder nicht.

Neuerdings scheinen sich die Kanadier etwas schwerer zu tun: Umfragen haben eine wachsende Abneigung gegen die offizielle Einstellung zur gemischtrassigen Gesellschaft festgestellt. Tendenziell richtet sich dieses Unbehagen gegen »sichtbare« Minderheiten, und das sind nun einmal die anderer Hautfarbe.



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