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Niagarafälle

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NIAGARAFÄLLE (NIAGARA FALLS; VORWAHL: 416)

Um das Schlimmste gleich vorwegzunehmen: die Niagarafälle haben sich längst in einen Goldesel für die Fremdenverkehrsindustrie verwandelt - über zwölf Millionen Besucher müssen sie jährlich verkraften! Sie gelten aus unerfindlichen Gründen als Traumziel für Flitterwöchner: Hotels voller Wasserbetten (Water beds) und herzförmigen Jacuzzis, Honeymoon Packages, Kinos mit Adult movies ("Erwachsenenfilmen"), Champagnerfrühstück "am Morgen danach" ... über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten. Dazu reihenweise Motels, Fastfood-Ketten und fürchterliche Restaurants in Form von Champignons, die sich um ihre eigene Achse drehen, damit auch alle mal was sehen. Jedem das Seine. Wir für unseren Teil schnüren flugs unser Bündel und ziehen unserer Wege.

Dabei ernährten sich die unglücklichen und an ihrer Vermarktung schuldlosen Wasserfälle ursprünglich bloß von einigen indianischen Jungfrauen, die von den Irokesen Niagara, dem "donnernden Wasser", geopfert wurden. So will es jedenfalls die Indianersage. Waren das noch glückliche Zeiten ... Später murksten sich im näheren Umkreis Amerikaner und Briten ab.

Erfolgsstory der Niagarafälle

Angeblich war es Joseph Bonaparte - richtig, der Bruder von dem anderen, berühmteren - der verantwortlich zeichnet für die Flitterwochenhysterie rund um die Falls. Von der Erzählung Chateaubriands angeregt, beschloß er, mit seiner frisch Angetrauten die Reise ab Louisiana mit der Postkutsche zu unternehmen. Das war anno 1803. Kaum zurückgekehrt, gab er von seinen Erlebnissen wohl so wunderliche Kunde, dass man ihn nachzuahmen begann. Die Ruhe der Fälle war dahin. Mit dem zwanzigsten Jahrhundert und der Verbreitung des Automobils begann die Massenprozession junger Brautleute ans "donnernde Wasser". Henry Hathaway drehte hier schließlich mit Marylin Monroe den Film Niagara, was die Fox auf den Gedanken brachte, von dem "Film, in dem zwei Wunder die Hauptrolle spielen" zu sprechen. Heute ist die Gegend mit Dutzenden von "Attraktionen" gepflastert, damit sich die Besucher so richtig gut zu unterhalten wissen. Sogar vor einem Elvis-Presley-Museum hat man nicht zurückgeschreckt. Armer Elvis ... Abends werden die Wasserfälle in einem Riesenspektakel in allen Regenbogenfarben angestrahlt. Was soll man da noch sagen?

Ein paar Zahlen

Im Sommer führen die Niagarafälle über 6.810.000 l Wasser pro Sekunde. Die Erosion der Kalkschichten stieg in den fünfziger Jahren auf einen Meter im Jahr an. Durch die Wasserkraftwerke ist die Abtragungsgeschwindigkeit dann auf 30 cm jährlich verlangsamt worden. Die kanadische Wasserkante in Hufeisenform erstreckt sich über 675 m, die Fallhöhe beträgt 54 m. Die Ziegeninsel (Goats Island) trennt die kanadischen Hufeisenfall vom 300 m breiten und 60 m hohen amerikanischen Teil der Niagarafälle. Das Beeindruckende an diesem Naturschauspiel ist dieses nachhaltige Tosen und die unbändige Kraft der Wassermassen, die der von fünf Millionen Pferdestärken gleichkommt.

Ihre Entstehung verdanken die Niagarafälle übrigens der letzten Eiszeit. Seither sind sie um 11 km zurückgewandert. Übrigens: wenn das Gestein für die Erhaltung der Stufe zu weich ist, wird der Wasserfall beim Rückwärtswandern immer niedriger und geht schließlich in Stromschnellen über, bis das Gefälle völlig ausgeglichen ist.

Die Niagarafälle als sportliche Herausforderung

Der Franzose Jean-François Gravelet, genannt Blondin, war 1859 der erste, der den besonderen Reiz des Ortes für waghalsige Unternehmungen zu nutzen wußte. Er überquerte die Wasserfälle auf einen Seil, das zwischen dem amerikanischen und kanadischen Ufer gespannt war, gemeinsam mit seinem Impressario, den er auf seine Schultern geladen hatte. Annie Taylor, Lehrerin aus Michigan, sorgte 1901 für eine weitere Premiere: sie stürzte sich von ganz oben in die Fluten. Da sie nicht schwimmen konnte, nahm sie jedoch in einem Faß Platz. Seit 1950 sind derartige Himmelfahrtskommandos polizeilich untersagt; eigentlich schade ... Einer unserer Feinde hätt´s nämlich gern gewagt. Nun ist er Bungee-Springer, und noch konnten wir ihm kein zu langes Seil unterjubeln.

Zum Schluß noch ein Wort aus dem Munde von Oscar Wilde, das merkwürdigerweise nicht in die Hochglanzprospekte der Reiseagenturen aufgenommen wurde: "Die Niagarafälle? Die zweite Enttäuschung im Leben von Jungvermählten." Wilde hatte 1882 den Wasserfällen seinen Besuch abgestattet.



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