Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Franzosen in Kanada Teil 2

Body: 

GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT

Franzosen in Kanada Teil 2

Sprachliche Folgen

Die bis heute gemischten Gefühle, mit denen sich Franko- und Anglokanadier begegnen, finden in dieser bewegten Zeit ihren Ursprung. Die Tatsache, von den Köpfen der Gesellschaft und von ihrem Vaterland aufgegeben worden zu sein, ließ die 70.000 Frankokanadier zu Waisen werden. Alles in allem war die damit einsetzende britische Herrschaft, namentlich zu Beginn, »auch nicht viel schlimmer« als das, was sie zuvor unter der Krone Frankreichs durchlitten hatten. Und so bedeutet »C´est pas pire« (wörtlich: »Das ist nicht schlimmer«) in Quebec denn auch Ausdruck höchster Zufriedenheit.

Die Zweideutigkeit der anglo-frankokanadischen Beziehungen wird 1775 deutlich, als amerikanische Aufrührer in der Provinz Quebec einfallen, um es für ihre Sache - die Unabhängigkeit - zu gewinnen. Die Frankokanadier machten jedoch gemeinsame Sache mit den Engländern! Die »amerikanische Revolution«, der amerikanische Unabhängigkeitskrieg gegen das Mutterland Großbritannien, hat in Kanada deutliche Spuren hinterlassen: tausende von loyalen Angloamerikanern überquerten die Grenze, um sich freiwillig der englischen Krone zu unterwerfen, die wiederum über vier Millionen Pfund für den entstandenen Schaden an die Vereinigten Staaten zahlte.

Das Katz- und Mausspiel, das sich Franko- und Anglokanadier liefern, zeitigt auf beiden Seiten auch kulturelle Auswirkungen. Eines der auffallendsten Beispiele hierfür ist das »Joual«, ein Quebecer Dialekt. Der Ausdruck »magasiner« (einkaufen) den es im Französischen nicht gibt, zeigt, wie die englische Grammatik auf französische Wörter angewendet wird, indem ein französisches Substantiv durch Anhängen einer Infinitivendung kuzerhand zum Verb umgemodelt wird. Im Ausdruck »je suis en amour« wurde das englische »I am in love« wortwörtlich ins Französische übersetzt. Man kann den Frankokanadiern zwar nicht vorwerfen, »franglais« - ein »verenglischtes Französisch« also - zu sprechen, sie haben jedoch englische Wörter derart französisiert, dass sich kein Engländer mehr auskennt. Das Wort »chum« etwa, vor dem Krieg in der englischen Umgangssprache als Bezeichnung für einen Kumpel geläufig, wird in Québec zu »tchumme«.

Kurzum, dreihundert Jahre andauernder linguistischer Freiheit, fern der gestrengen, puristischen und alle sprachlichen Erscheinungen regeln wollenden »Académie Française« in Paris, haben in Kanada eine dem modernen Leben viel besser angepaßte französische Sprache entstehen lassen. Ihre poetische Kraft ist dadurch nicht getrübt worden, und wer sich davon überzeugen will, braucht nur Félix Leclerc zu lesen!

Und wieder Schwierigkeiten ...

Am Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, im Jahre 1783, kommt es in Kanada zu einem Zustrom von 50.000 der britischen Krone und König Georg treu ergebenen Angloamerikanern (Loyalisten) aus den dreizehn ehemaligen Kolonien. 1791 wird Kanada im Zuge des »Constitutional Act« zweigeteilt: in Unter-Kanada (Lower Canada), das - mehrheitlich französisch - seine Gesetze und eine eigene Regierung behalten darf, und Ober-Kanada (Upper Canada), das nach englischem Modell aufgebaut und verwaltet wird. Eine gewisse Selbstverwaltung sollte den Ansprüchen von Anglo- und Frankokanadiern gerecht werden. Die Lage war aber denkbar verzwickt: 21.000 von rund 160.000 Bewohnern der alten Provinz Quebec waren nämlich Anglokanadier, deren Elite - sozusagen die Gründerväter Englisch-Kanadas - gar nicht in Ober-Kanada seßhaft geworden war, sondern im Herzen des frankophonen Gebietes, also in den Metropolen Montreal und Quebec. Man kann sich leicht ausmalen, dass der Constitutional Act bei ihnen nicht auf Begeisterung stieß. London ließ sich aber nicht umstimmen.

Der anglo-amerikanische Krieg läßt die Hoffnung der Amerikaner erneut aufkeimen, Kanada in die Vereinigten Staaten einzugliedern. Die Kämpfe verlaufen an der Grenze um die Niagarafälle, wo Franzosen, Indianer und Engländer planlos gegen die Amerikaner anrennen, besonders heftig. Doch die amerikanische »Invasion« schlägt fehl. Immerhin bildete sich damals aus dieser gemeinsamen Erfahrung so etwas wie ein rudimentäres kanadisches Nationalgefühl heraus, während die amerikanischen Ideen von Demokratie und Unabhängigkeit in Mißkredit gerieten. 1815 wird in Gent ein englisch-amerikanischer Friedensvertrag unterzeichnet und die Grenze zu den Vereinigten Staaten endgültig festgeschrieben.

1838 lehnen sich die beiden kanadischen Teilprovinzen gegen die autoritäre Staatsführung Londons auf; der Aufstand wird jedoch niedergeschlagen. Die Provinzparlamente werden durch ein einziges Parlament ersetzt, in dem beide Provinzen zu gleichen Teilen vertreten sind, wobei jedoch die französische Sprache ihren offiziellen Status vollständig einbüßte. London beabsichtigte, die Frankokanadier auf diese Weise zu assimilieren und sich das Problem endlich vom Hals zu schaffen. Vergebens: acht lange Jahre sollten sie mit Unterstützung englischer Liberaler letztlich erfolgreich dafür kämpfen, Französisch neben Englisch als Amtssprache wieder einzusetzen.

Derweil gärt es in beiden kanadischen Teilprovinzen: ein Aufstand der »Patriots«, der erste Versuch Unter-Kanadas (Quebec), unabhängig zu werden, wird 1837 von Louis-Joseph Papineau angeführt. Sein Wunsch ist es, an den Ufern des Sankt-Lorenz-Stroms eine französische Republik zu errichten. Im selben Jahr führt William Lyon Mackenzie King - in der Absicht, in Upper Canada eine zweite Republik einzurichten - eine Rebellion gegen die wirtschaftliche und politische Allmacht der »Compact« genannten Familienclans und die britische Krone an. Als Modell dienen zu allem Überfluß ... die Vereinigten Staaten! Starker Tobak für die gebeutelte britische Krone, die - nie arm an starken Männern - »Radical Jack« ins Rennen schickt. Der Herzog von Durham (so der offizielle Titel John George Lambtons) kann in seiner Funktion als Generalgouverneur von British North America die Frankokanadier, dieses Volk »ohne Geschichte und Literatur«, das eine Bedrohung für das anglophone Kanada darstellt, nicht leiden. Seiner Zeit weit voraus, treibt er 1838 einen Zusammenschluß beider Teilprovinzen voran, um die Dominanz des englischsprachigen über den französischsprachigen Teil zu erzwingen. Dies ist 1841 beschlossene Sache: eine Million »Kanadier« haben fortan eine einzige Regierung. Die Union funktioniert jedoch nicht, denn sie bringt keine größere politische Stabilität zwischen den beiden Provinzen mit sich. Die in etwa ausgewogene Stärke und Zahl der Franko- und Anglokanadier führt dazu, dass das Land unregierbar wird. Union bedeutet auch: eine gemeinsame Hauptstadt. Mit Quebec hätte man jedoch dem frankophonen Teil den Vorzug gegeben, bei der Wahl Torontos wäre der anglophone Teil bevorzugt worden. Angesichts dieser verfahrenen Lage wurde Königin Victoria zu Rate gezogen. Sie sah sich die Karte ihrer nordamerikanischen Besitzungen an und wählte ein winziges Holzfällernest aus: Bytown, am Ufer des Ottawa-River, an der Grenze von Ober- und Unterkanada, das daraufhin in Ottawa umbenannt wurde.



Rückwärts |
Inhalt |
Vorwärts |