Literatur

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Literatur der Antike

Epische Heldensagen und sozialkritische Märchen

Neben umfangreichen Heldenliedern, die auch heute noch von Rhapsoden vorgetragen werden, ist die mongolische Literatur reich an ritualistischer, schamanistisch beeinflußter Zeremonialdichtung, an Segens- und Weisheitssprüchen, Rätseln, Sprichwörtern und Liedern. Große Bedeutung kommt der in zahlreichen Handschriften erhaltenen Geschichtsliteratur zu.

Im Gegensatz zu Tibet hat die Literatur hier, im Ausstrahlungsbereich östlicher und westlicher Kulturen eine eigene Entwicklung genommen. Groß ist der Sagen- und Märchenschatz. Sagen erzählen von den drei Welten und der Entstehung des blauen Himmels (Hurmust Tengri). Der Diederichs-Verlag hat im Band »Mongolische Märchen« eine ganze Reihe davon ins Deutsche übersetzen lassen.

Der ersten Berührung mit Europa im 13. und 14. Jh. folgte nach langem Stillstand zu Beginn unseres Jahrhunderts ein nachhaltiger Einbruch westlicher Ideen. Die literarische Entwicklung bis zur Gründung der Volksrepublik 1924 läßt sich als Spiegelbild »einer graduell abnehmenden Feudalperiode« (Heissig) kennzeichnen.

Überwiegt in Tibet das religiöse Schrifttum, so hat sich in der Mongolei eine breite weltliche Dichtung entfalten können, die vom Epos bis zu Lehrdichtung und Theaterstücken reicht. In der meist mündlich tradierten Volksdichtung zeigt sich die Eigenart der mongolischen Literatur. Selbst im sozialistischen Realismus kamen immer wieder Bilder und Rhythmen (Stabreim) der eigenen Tradition zum Vorschein, die stärker als jeder fremde Einfluß sind.

Geheime Geschichte

Eröffnet wird die geschriebene Literatur mit der Einigung der Mongolen und ihrem Aufstieg zur Weltmacht, beschrieben in der »Geheimen Geschichte der Mongolen« (Mongol-un nigucha tobchiyan). Dieses im Jahre 1240 anonym verfaßte Werk schildert in zwölf Bildern Abstammung und Leben Temudschins, des späteren Dschingis Khan, sowie die Anfangsjahre seines Nachfolgers Ögödai. Die »Geheime Geschichte«, nur zu geringem Teil historisch zuverlässig, hat zahlreiche Volkslieder, Sprichwörter und Gedichte der mündlichen Überlieferung aufgenommen. Vermutlich 1240 verfaßt und bis 1264 ergänzt, ist sie nur in einer chinesischen Transkription aus dem 14. Jh. erhalten. Nach chinesischen Neudrucken von 1847 und 1903 gelang Haenisch die erste Rekonstruktion des Urtextes (1939-1941).

Buddhistische Literatur

Fast unüberschaubar ist die buddhistisch-lamaistische Übersetzungsliteratur, spielte doch Tibetisch bei den Mongolen die gleiche Rolle wie das Latein im Mittelalter. Obenan stehen das Ganjur und das Tanjur, die kanonischen Schriften des Lamaismus und Grundlagen der klassischen mongolischen Literatursprache.

Das Ganjur, 1717 bis 1720 entstanden, ist ein kanonischer Code des Buddhismus in 108 Bänden. Es enthält 1161 Werke von Schülern des Sakyamuni und wurde von 35 Mönchen aus dem Tibetischen ins Mongolische übersetzt.

Von 1742 bis 1749 übersetzten 200 Mönche das 226 Bände umfassende Tanjur. Es enthält 3400 buddhistische Arbeiten über Philologie, Logik, Philosophie, Medizin, Astrologie, Literatur und andere Wissensgebiete. Die beiden Kodizes umfassen zusammen 334 Bände, wobei jeder Band 500 Seiten hat und jede Seite 20 bis 80 cm lang ist. Für den Druck des Ganjur und des Tanjur wurden 300.000 hölzerne Druckstöcke benötigt.

Wenige Spuren hat der Schamanenglaube in den religiösen Werken der Mongolen hinterlassen, die bei weitem den umfangreichsten Teil ihrer Literatur ausmachen. Zur Zeremonialdichtung mit ihrer archaischen Sprachbehandlung gehören die Anrufungen von Ahnen und Schicksalsgöttern ebenso wie die Wunsch- und Segenssprüche, die heute noch bei festlichen Gelegenheiten auf dem Lande gesprochen werden.

Epen

Die alten mongolischen Epen, von denen bis heute mehr als hundert bekannt sind, wurden und werden von wandernden Spielmännern (»Churtschis«) verbreitet, deren Vortrag von einer zweisaitigen Geige begleitet wird. Dabei können diese Lieder, deren Helden an unsere Ritter erinnern, bis zu 20.000 Strophen umfassen. Schriftlich fixiert wurden sie meist erst in diesem Jahrhundert. Die Sage von Geser, dem Helden zahlreicher Sagen und Epen in Zentralasien, deren bedeutendste Version 1716 in Peking erschien, gründet sich nach neuesten Forschungen auf historische Ereignisse. Siehe auch den Abschnitt Religion/Schamanismus.

Auch die anderen Epen, in denen das Gute, als Drache oder Riese häufig einen Fürstensproß verkörpernd, stets über das Böse triumphiert, enthalten oft einen historischen Kern. Nur werden die höchst realen Konflikte, wie sie etwa dem »Epos vom Sieg der Vier Oiratenstämme über die Mongolen« zugrunde liegen, dichterisch überhöht. Die Fülle der Epen, die bei den einzelnen Stämmen jeweils ihre eigene Ausprägung erhielten, erklärt sich aus ständigen Variationen derselben alten Grundmotive.

Sozialkritik

Im 18. Jh. entstanden die ersten mongolischen Romane, darunter »Drei Königreiche«, »Traum im Roten Schlo«ß und »Jing, Ping, Mei«. Als sich im 19. Jh. die alte Ordnung aufzulösen begann, diente die »Bußpredigt« der Zeitkritik, attackierten Mahn- und Spottgedichte den falschen Mönch und schlechten Herrscher.

Am schärfsten kamen die sozialen Spannungen aber in den ursprünglich harmlosen Schelmengeschichten um den »Siebzig-Gauner-Gleichen« und in der Gestalt des »Verrückten Mönches Schagdar« zum Ausdruck, dessen historisches Vorbild zwischen 1902 und den zwanziger Jahren durch die Innere Mongolei zog. Unter dem Deckmantel buddhistischer Moral polemisiert der Mönch Isidangdijinwangdschil 1902 in seinem Lehrgedicht gegen die soziale Unterdrückung. Auch die Märchen spiegeln etwas von den sozialen Mißständen, hat doch in ihnen der Fürst immer öfter den Part des Bösen zu übernehmen.