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Russian Hill

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Viertel der armen Kirchenmäuse

Französisches Schloß oder bayrische Burg

Sternzeichen in schwarzem Marmor

Beginnt an der nordwestlichen Ecke der Pacific und Grand Avenue, zieht sich nördlich der Grant Avenue bis zur Columbus Avenue und zur Bay Street, westlich der Bay Street bis Van Ness Avenue und südlich der Van Ness Avenue bis zur Pacific Avenue.

Über die Herkunft des Namens dieses Stadtteils kursieren zahlreiche Gerüchte. Lebten dort ehemals viele Russen, liegen dort russische Matrosen begraben oder rührt der Name von einem russischen Seemann her, der sich als Haudegen und Trunkenbold einen legendären Namen erwarb? Keiner weiß es genau, doch zweifelsohne haben diese ungewöhnlich steilen Hügel schon einiges an Geschichte gesehen. Zu Beginn hausten dort die Ärmsten der Armen, da sich jeder, der es sich nur irgendwie leisten konnte, einen derartig steilen Nachhauseweg ersparte.

Mit der Einführung der Cable Car änderte sich das grundlegend! Die Reichen, die bislang überwiegend in der Gegend um Nob Hill (Nabob´s Hill; Snob Hill?) residiert hatten, errichteten dank der Cable prächtige Häuser und genossen von nun an das wunderbare Panorama auf die Bucht. Auf dem Nob Hill ließen sich z.B. die »Großen Vier«, die Eisenbahnmagnaten nieder: Leland Stanford (Stanford Court Hotel; sein ehemaliger Pferdestall beherbergt den University Club), Collis P. Huntingdon (Huntingdon Park), Mark Hopkins (M. Hopkins Hotel, Hausnummer »Number One, Nob Hill«; ursprünglicher Bau im Erdbeben zerstört) und Charles Crocker, heute an der Stelle die Kirche Grace Cathedral) ihre Paläste hingeklotzt hatten, als auch auf den Pacific Heights der Stadtelite langsam zu eng wurde. Um 1890 sahen diese sich wieder nach besseren Grundstücken um, was der wirtschaftlichen Kraft des Stadtteils sichtlich schadete.

Huntingdons Haus ähnelte einem französischem Schloß, Crockers war eine bajuwarische Burg mit Schnitzwerk und einem Turm von 25 Metern. In Stanfords Residenz waren Tierkreiszeichen in schwarzem Marmor in den Boden gelassen, und in der Gemäldegalerie ließen sich Pflanzen, zwischen denen künstliche Vögel zwitscherten, per Knopfdruck aus der Versenkung holen. Mark Hopkins bezeichnete sein Wohnzimmer als Dogenpalast, und überall glänzte es nur vor Ebenholz, Elfenbein und eingelegten Edelsteinen. Die vier waren zur Zeit des Goldrausches nach Kalifornien gezogen und Crocker, der Fädenzieher und Macher, hatte sich als einziger selbst noch die Hände beim Goldwaschen beschmutzt. Huntingdon war der Kopf der Bande, Hopkins sein Adjudant, der allem zustimmte, und Stanford der Raffgierigste. Was sie verband, war keineswegs Freundschaft, sondern ihr Geschäftsinteresse. So verwandte der eher nüchterne Huntingdon fünf Jahre auf die Bloßstellung des umtriebigen Stanfords wegen einer Wahlschiebung, womit dieser sich einen Sitz im Senat erschlichen hatte.

Ihr Erfolg beruhte auf Plänen Theodore Judahs, der als Dreißigjähriger die erste Eisenbahn Kaliforniens ins Sacramentotal erbaut hatte und dem eine Verbindung quer über den Kontinent vorschwebte. Bei seiner Suche nach Geldgebern traf er auf die vier Geschäftsleute aus Sacramento, deren Interesse geweckt wurde, als 1862 Bundesanleihen zur Finanzierung ausgeschrieben wurden und sie erkannten, dass sie deren Höhe mangels Kontrolle beliebig hoch festlegen konnten. So konnten sie beispielsweise behaupten, Unsummen für das Abtragen eines Hügels ausgegeben zu haben, der nie existiert hatte. Als Judah starb, fielen seine Straßenkarten, und Planungsunterlagen in ihre Hände. Ferner konnten sie seine Beziehungen nach Washington nutzen. Crocker war rührig in organisatorischen Dingen und ließ Tausende chinesischer Kulis kommen, die eine Trasse durch die Sierra Nevada sprengten und pickelten, während die anderen u. a. fleißig Politiker für ihre Interessen einspannten. Stanford selbst wurde sogar einmal Gouverneur von Kalifornien. Nach erfolgter Verbindung der Gleise von Union Pacific und der Central Pacific in Promontary 1869 – ein goldener Nagel markierte die Stelle – bestand nun endlich die ersehnte Überlandverbindung von Ost nach West.

Der Nagel, übrigens, stak nur einen Augenblick in der Schwelle. Kaum eingeschlagen, riß man ihn wieder heraus. Heute ist er in einem Museum der Stadt zu sehen.

Die vier gingen an den Aufkauf aller lokalen Bahnen. Ferner kontrollierten sie bald – wenn nicht anders möglich – mittels Bestechung, Schiebereien und Druck bald alle Häfen in der Bucht sowie den Flußverkehr. Ihre Frachtarife waren völlig überzogen, so dass sie bald die meistgehaßten Männer in der Gegend waren. Obwohl der letzte von ihnen bereits 1901 gestorben war, konnte ihr Kartell erst 1913 zerschlagen werden.

Die Russen hinterließen ansonsten keine Spuren auf den gleichnamigem Hügel, wie überhaupt auch nur wenige in Kalifornien. Sie betätigten sich als Pelztierjäger in Alaska und folgten den kostbaren Seeottern immer weiter nach Süden bis zur nordkalifornischen Küste. Im Jahre 1806, auf der Suche nach frischem Obst und Gemüse für seine skorbutbefallenen Jäger, lief Nikolai Petrowitsch Resanow von Sitka kommen in die Bucht ein. Als der immerhin vierzigjähre Kapitän Bekanntschaft mit wunderschönen fünfzehnjährigen Tochter des Kommandanten, Donna Concha Arguellos y Moraga, machte, stamd ihm der Sinn fürderhin nach jungem Gemüse – hach, wie schön! Die Sache ging schlimm aus, denn Resanow starb wenige Wochen später auf der Rückreise von der Einholung der Heiratsgenehmigung des Zaren. Donna Concha wartete derweil. Die Nachricht erreichte sie erst 1842. Sie beschloß Nonne zu werden, und in Ermangelung eines Klosters gründete sie halt eins. Im Jahre 1812 hatten die Russen nördlich der Bodega-Bucht Fort Ross gegründet, zogen aber nach Ausrottung der Seeottern wieder davon und verkauften alles, einschließlich Palisaden und Kanonen, an Johannes Suter. Erst 1938 entdeckte man eine kleine verschonte Seehundkolonie bei Big Sur, die zur Keimzelle einer Population von nunmehr rund zweitausend Tieren wurde.