Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Nesthocker

Body: 

Nesthocker sind in Italien keine Ausnahme

Besonders junge Männer bleiben gerne im Hotel Mama

Gesellschaftliche Lage beeinflußt das Privatleben

Dass erwachsene Kinder mit über 25 Jahren noch zu Hause wohnen, ist in Deutschland eher die Ausnahme: 70% der jungen Männer und gar 90 % der jungen Frauen leben längst mit einem Partner, in einer Wohngemeinschaft oder auch alleine im eigenen Haushalt. Gerade in Akademikerfamilien erwarten Eltern, dass ihr Kind sich bald nach dem Schulabschluß auf eigene Füße stellt.

Ganz anders sieht die Situation in Italien aus: Die Familie ist noch immer die vorherrschende Form des Zusammenlebens, und ausgezogen wird in der Regel erst dann, wenn die jungen Leute selbst eine Familie gründen. Ein Auszug aus dem elterlichen Heim ohne einen "triftigen" Grund wie Heirat oder ein Stellenangebot in einer entfernten Stadt ist ungewöhnlich. So leben in Italien mit 25 Jahren erst rund 30% der Männer und 50 % der Frauen im eigenen Haushalt, den sie dann auch meistens schon mit einem Ehepartner führen.

Dafür sind nicht zuletzt die wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen verantwortlich.

Seit den 1960er Jahren finden Eheschließungen in ganz Europa immer später statt, und sowohl in Deutschland (heute 1,4 Kinder pro Frau) als auch in Italien (1,2 Kinder pro Frau) sind die Geburtenraten stark gesunken. Während sich aber in Deutschland neben der Ehe auch andere Lebensformen etabliert haben und immer mehr Frauen kinderlos bleiben, ist diese Entwicklung in Italien so nicht zu beobachten: Nach wie vor wird geheiratet, und nur wenige Frauen bleiben kinderlos; die meisten allerdings haben nur ein Kind.

Sowohl in Deutschland als auch in Italien sieht der Gesetzgeber die Familie als Solidargemeinschaft, die für die wirtschaftlich schwächeren Mitglieder - also auch für die Kinder in Ausbildung oder Arbeitslosigkeit - aufkommen muß. Aber während in Deutschland erwachsene Kinder in Ausbildung einen Anspruch darauf haben, entweder von ihren Eltern oder dem Staat (beispielsweise durch BaföG oder Wohngeld und Sozialhilfe) finanziell unterstützt zu werden, hält der italienische Staat die Förderung der jungen Erwachsenen für eine reine Familienangelegenheit:

Junge Erwachsene müssen selbst mit ihren Eltern aushandeln, welche Art/Form der Unterstützung die Familie geben kann. Ein häufiger Kompromiss ist es, im elterlichen Haushalt wohnen zu bleiben - vermutlich auch, um das Budget nicht noch stärker zu belasten.

Dazu kommt, dass in Italien nur etwa 20% des Wohnungsmarkts vermietet wird (im Vergleich zu 60% in Deutschland) und daher der erste eigene Haushalt oft mit dem Kauf einer Wohnung verbunden ist.

Obwohl in Süditalien weitaus traditionellere Familienvorstellungen herrschen, ist die Mobilität der jungen Leute dort deutlich höher als in Norditalien. Das sei allerdings nur auf den ersten Blick erstaunlich, sagen Experten, denn in Süditalien gibt es weder besonders gute Universitäten noch Arbeitsplätze für junge Leute. Eltern, die es sich leisten können, finanzieren ihren Kindern daher ein Studium bzw. einen Berufsstart in einer anderen Stadt.

In Norditalien dagegen finden sich gute Ausbildungsstätten, Jobchancen und Universitäten direkt vor der Haustür. Hier bleiben junge Leute oft auch dann zu Hause wohnen, wenn sie schon selbst verdienen. "Mir fehlt doch zu Hause gar nichts!" lautet eine typische Auskunft von norditalienischen jungen Männern, die noch ledig sind.

Eine psychologische Folge der unterschiedlichen Wohnbedingungen:

In Deutschland begegnen sich Eltern und ihre erwachsenen Kinder nicht selten als Verhandlungspartner auf gleicher Ebene. In Italien dagegen bleiben sie ihren jeweiligen Rollen als Eltern und Kinder treu.