Annapolis Royal

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Annapolis Royal

Schon ein ausgefallener Ortsname, der eher eine ausgewachsene Provinzstadt erwarten ließe, aber nichts dergleichen: Annapolis Royal ginge bei uns nicht mal als gut ausgebautes Mittelzentrum durch. Dafür ist´s rundum aber schön grün, und ein Fluß strebt der Fundy Bay zu. Die hieß früher, unter den Franzosen, mal „Franzosenbucht“ (Baie des Francais), aber das war noch vor Ankunft des „Albions“ (so der vorkeltische Name Britanniens). Nichtsdestotrotz war Annapolis zwischen 1713 und 1749, also noch vor Halifax, Hauptstadt Neuschottlands.

Allmorgendlich rieben wir uns erst mal ungläubig die Augen: erst nach Auflösung des Nebel gegen 10 oder 11h kam die Sonne zum Vorschein. Und dann wechseln sich hier auch noch Ebbe und Flut unerhört schnell ab, wie nirgendwo sonst auf der Welt, so dass man dem schaumbekrönten, auflaufenden Wasser zuschauen kann. Drum haben die findigen Kanadier hier auch ein Gezeitenkraftwerk gebaut, das einzige in Nordamerika übrigens.

Richig zum Wohlfühlen ist das Städtchen also, mit seinen schönen viktorianischen Gebäuden im Schatten ganzer Batallione von Ulmen, Eichen, Pappeln und Ahornbäumen. Kein schlechter Einfall ist es, hier die Nacht zu verbringen und am nächsten Morgen die Überfahrt Digby - Saint John in Angriff zu nehmen, sofern man Neuschottland schon den Rücken kehren möchte.

Port Royal am gegenüberliegenden Ufer nicht vergessen, wo die französischen Pioniere ihr erstes Lager aufschlugen. Die ahnten damals freilich noch nicht, dass das Nordamerikaabenteuer Frankreichs - noch heute spricht man dort, in vorsätzlicher Verkennung der historischen Tatsachen, stolz von „Neufrankreich“ - nicht von langer Dauer sein würde.

Kost & Logis

The Poplars Bed & Breakfast: 124 Victoria Street, T. 532-79 36. Mächtige Bäume beschützen das gelb gestrichene Haus, wo Iris, eine nette rundliche Dame, das Sagen hat. Zimmer entweder im Haupthaus oder in einer Art Dependance, wahlweise mit einem oder zwei Betten.

The Turret Bed & Breakfast: 372 Saint George Street, T. 532-57 70. Gegenüber ein alter romantischer Friedhof, wo große Krähen im Geäst der Bäume herumflattern. Das hat doch was, oder? Dieser Eindruck bestätigt sich beim über hundert Jahre alten „The Turret“, dessen schöne Zimmer die ordnende Hand der früh aus dem Berufsleben ausgeschiedenen Inhaber erkennen lassen. Gutbürgerlicher Komfort sorgt für Wohlbefinden von Anfang an. In bester Erinnerung ist uns das opulente Frühstück hier, mit Porridge (Haferflocken mit Zucker und Milch), Eiern, Toastbroten, Schinken usw. Noch netter als die vorgenannte Adresse, bei vergleichbaren Preisen.

The Old Post Office Restaurant: an der Hauptstraße, in unmittelbarer Nähe zum Fluß und zum ehemaligen Theater. T. 532-POST. Nur über Sommer geöffnet. Roter Ziegelbau von 1883 mit großem Gastraum: hohe Zimmerdecke, ungewöhnliche Skulpturen, diverse launische Hinweistafeln („Wer keinen Hunger hat, ist hier fehl am Platz“). Die Raummitte markiert ein restaurierter Posttresen, wo man sich seine Suppe selbst abholt. Alle anderen Gerichte werden von freundlichen jungen Leuten aufgetischt. Preislich in Frage kommen eine ganze Reihe Menüs: mit Lachs, vegetarisch, Roast Turkey, Baked Ham usw.

Sehenswertes

Historischer Park: 441 Saint George Street; Einlaß von Anfang Juni bis Ende Oktober täglich von 8h bis zum Einbruch der Dunkelheit. T. 532-70 18. Die viktorianische Parkanlage verspricht am späten Nachmittag einen tollen Spaziergang: schöner Baumbestand, Blumen und ein akadischer Gemüsegarten mit nachgebauter Siedlerbehausung, wie sie im 17. Jh. in Neuschottland noch zu finden waren. Das Leben scheint damals hart gewesen zu sein. Unterhalb des Parks führt ein Weg zu einem Sumpfgelände, wo Reiher eine Heimstatt gefunden haben.

Fort-Anne: Saint George Street, T. 532-23 97; täglich von 9-18h geöffnetes Museum (15. Mai bis 15. Oktober). Das von den Franzosen 1635 erbaute Fort wurde erst 1713 von den Engländern eingenommen und besteht aus einer Soldatenunterkunft - das hübsche Gebäude hat rein gar nichts von einer Kaserne! Es verdankt seinen Namen der Königin Anne Stewart;. Die erwähnte Kaserne verschwindet hinter einer Abfolge rasenbewachsener Geländekuppen. Sie sind sternförmig angeordnet und mit Kanonen bestückt. Die Büste des Sieur de Monts, ein Herr mit Musketierschnurrbart und breitkrempigem Hut, erinnert an Pierre de Gua, der 1604 zusammen mit Champlain, Poutrincourt und achtzig Mannen in Akadien landete. Er war einer der Gründer des Forts Port-Royal.

Die Umgebung

Port-Royal (National Historic Site): Holzfort 10 km westlich von Annapolis Royal, am Nordufer des Annapolis River. T. 532-28 98. Von Mitte Mai bis Mitte Oktober täglich von 9-18h geöffnet.

Nachbau des ersten militärischen Brückenkopfs Frankreichs in Nordamerika - im 17. Jh. sprach von einer Habitation. Es handelt sich also um nichts anderes als die erste französische Kolonie auf amerikanischem Boden aus dem Jahre 1605. Die hätte man eher in Quebec oder auf der Gaspé-Halbinsel vermutet, wo Jacques Quartier an Land ging, und nicht hier, an dieser unwirtlichen Stätte weitab der Zivilisation. Port-Royal hatte sein Pendant in Saint-Jean (heute Saint John / Neubraunschweig). Indes, während sich Saint John zu einer Großstadt entwickelte, die bald alle Spuren verwischte, scheint hier die Zeit stehengeblieben zu sein. Akadische Darsteller in zeitgenössischen Trachten tragen zu dieser Illusion bei - es handelt sich ja, wie gesagt, nur um die Replik des Forts! Port-Royal ist gut überschaubar: die blockhausähnlichen Holzgebäude sind um einen Innenhof angeordnet (mit Brunnen), den man durch ein einfaches Tor betritt. Sehenswert sind dort die Schmiede, die Küche, das Backhaus, die mönchisch-schlichte Kapelle, die Schlafräume im Dachgeschoß, ausgestattet mit Strohmatratzen für die Soldaten, und die ebenfalls schlichte Unterkunft der Edelleute. Kein geringerer als Samuel de Champlain; gründete Port-Royal, was die von ihm gezeichneten Pläne beweisen. Ungeachtet aller widrigen Lebensverhältnisse vermochte es die kleine französische Kolonie, das erste Kapitel der kanadischen Geschichte zu schreiben. Der Geist Champlains scheint heute sogar wieder zwischen den Palissaden von Port-Royal umherzuhuschen.

Überfahrt Digby - Saint John (Neu-Braunschweig): im Hafen Digby, 27 km südwestlich von Annapolis Royal, legen die Fähren nach Neubraunschweig ab. Vom 24. Juni bis 10. Oktober drei Verbindungen täglich (um 5h, 13h und 20.15h, aber besser noch mal nachfragen); ansonsten ein bis zwei Schiffe pro Tag. Dauer der Überfahrt: zweidreiviertel Stunden im Sommer, drei Stunden außerhalb der Saison (38 Seemeilen). Plätze müssen reserviert werden: entweder an Ort und Stelle, oder bei der Fährgesellschaft in Digby (T. 245-21 16) bzw. Saint John (T. 636-40 48). Eine Stunde vor Abfahrt muß man am Fähranleger sein. Für ein Auto mit zwei Insassen sind rund 90 $ fällig; dennoch günstiger als der siebenstündige Landweg über den Norden Neuschottlands (582 km).

Ausblick

Über die Atlantikprovinz Neuschottland gäbe es noch eine Menge zu berichten. Unser neidischer Verleger hat uns aber just an dieser Stelle ins ferne Europa abberufen. Vielleicht erkundigen sich unsere Leser ja bei den deutschstämmigen Bewohnern von Lunenburg, was es in der Nordostecke Kanadas noch so alles zu entdecken gibt. Da die offene See nie weiter als 60 km entfernt ist, steht Wassersport und Badefreuden nichts im Wege. Und die Aktivurlauber werden in den National- und Provinzparks (z.B. dem Kejimkujik National Park oder dem Cape Breton Highland National Park) ihr Nirwana finden.


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