Grand-Pré

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Grand-Pré

Gerade mal dreihundertfünfundzwanzig Seelen leben hier, aber kennen tut das Nest jeder aufrechte Akadier, egal, in welche Weltgegend ihn das Schicksal auch verschlagen hat: fast jeder ist schon mal hierher gepilgert, und wenn nicht, dann hat er es gewiß noch vor. Hier, am Ende der Minasbasin Bay, nahm nämlich das seinen Anfang, was frankophone Chronisten das "grand d árangement" nannten, mit anderen Worten: die Deportation der französischstämmigen Bevölkerung Neuschottlands. Rufen wir uns die historischen (Misse)tatsachen noch einmal ins Gedächtnis: obwohl die Akadier schon seit 1672 hier siedelten, verlangten die Engländer - seit Abschluß des Vertrags von Utrecht 1713 die neuen Herren Akadiens - im Jahre 1755 von ihnen, dem König von England den Gehorsam zu schwören, und damit nichts Geringeres, als Untertanen seiner Majestät zu werden, was damals automatisch auch die stillschweigende Notwendigkeit eines Übertritts zum Glauben des weltlichen und kirchlichen Oberhaupts, dem Protestantismus also, beinhaltete. Dass die Engländer mit diesem Ansinnen auf Granit bissen, wen wundert es? Folge: am 5. September 1755 wurden die unbeugsamen Akadier auf Geheiß des Oberstleutnants John Winslow; in der Èglise Saint-Charles zusammengetrieben und, nach Beschlagnahmung ihres Grund- und Hausbesitzes durch die Krone, deportiert (bzw. "abgeschoben", wie man den Vorgang heute vornehm umschriebe). Diese Vertreibung, heute üblichen "ethnischen Säuberungen" durchaus vergleichbar, hielt bis 1762 an und führte dazu, dass achttausend Akadier in der ganzen Welt verstreut wurden: von der Bretagne bis nach Louisiana, von Virginia bis auf die Antillen. Dort sind die Folgen bis heute zu besichtigen: in den akadischen Ortschaften Lafayette und Saint-Martinville z.B. (beide Louisiana/USA) oder im Land der Cajun (s. interconnections-Reiseführer "USA - Südosten und New York"), wo die größte Akadiergemeinde, Nachkommen der zwangsexilierten Bewohner Neufrankreichs, eine neue Heimat gefunden hat. Die Erinnerung an die Vertreibung der Akadier lebt auch in einem Gedicht Longfellows über die heldenhafte Évangéline fort, das den Akadiern heute als Nationalepos gilt.

Kost & Logis

Evangeline Snack-Bar and Motel: Route 1, unweit der Kreuzung mit der Straße zum National Historic Site Grand-Pr‚. T. 542-27 03. Auch Sandwiches und einfache Tellergerichte. Im Motel preiswerte Zimmer auf der ruhigen, straßenabgewandten Seite. Nix Romantisches, aber für eine Nacht gut.

Inn the Vineyard Bed & Breakfast: 264 Old Post Road, T. 542-95 54. Aufnahme vom 1. Juni bis 30. September. Richtung Historic Site fahren, dann rechts ab. Noch ein Stückchen weiter, schon sind wir rechter Hand der Straße am Ziel. Schönes Landhaus aus dem 18. Jh. inmitten einer (zumindest im Sommer) klimatisch begünstigten Gartenlandschaft aus Gemüsebeeten und Apfelbaumwiesen. Sogar die Grillen geben an schönen Tagen ihr Konzert. Verantwortlich für soviel guten Geschmack und Pflege sind zwei nette Frankokanadier aus Montreal, die hier regelmäßig den Sommer verbringen. Bodenständig-gediegene Zimmer, deren Preis allerdings etwas über dem Mittel liegt. Dafür wird man aber auch vom Frühstück pappsatt.

Kultur

Grand-Pr‚ National Historic Site: an einer Straße zum Meer, gut ausgeschildert. T. 542-36 31; Von Mitte Mai bis Mitte Oktober, täglich 9-18h. Gedenkstätte unter freiem Himmel mit einem Nachbau der erwähnten Saint-Charles-Kirche (das Original wurde von den Engländern niedergebrannt), Sinnbild für die Tragödie der Akadier. Eine Tafel führt die Namen der dreihundert deportierten Familien auf. Im Garten eine Bronzestatue Évangélines und etwas weiter durch, am Ende des Weges, das "Kreuz der Deportation", just an der Stelle, wo die Akadier gewaltsam auf die Boote getrieben wurden, mit denen man sie auf die bereitsstehenden Segelschiffe brachte. Diese nahmen dann Kurs auf ... das Exil.


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