Souveräne Macht?

Body: 

Souveräne Macht?

England besitzt keine geschriebene Verfassung. Wie auch in manchen Justizbereichen
gilt das germanische Gewohnheitsrecht (Common Law), das ein geschriebenes Recht
(Statute Law) überflüssig erscheinen läßt. Das Common Law ist in der Gewohnheit
und dem gesunden Menschenverstand begründet, in jenem Common Sense also, von
dem viele Engländer mit beispielloser Selbstgefälligkeit glauben, er stelle
ein ethnisches Privileg und einen nationalen Rohstoff dar.

Das Kabinett (Cabinet) entspricht der »Regierung Ihrer Majestät«, doch agiert
es völlig unabhängig vom Souverän, dessen Amt desto symbol- und traditionsbeladener
ist, je weiter entfernt vom politischen Tagesgeschehen. Heutzutage herrscht
ein gelassenes Verhältnis zwischen beiden, doch war dies nicht immer so: Königin
Victoria versuchte, in politische Entscheidungen mit mehr oder weniger Fingerspitzengefühl
einzugreifen. Karl I. war sogar ins Unterhaus eingedrungen, um vier Abgeordnete
festnehmen zu lassen, und hatte damit einen schwerwiegenden Fehler begangen,
der ihm nichts Gutes eintrug, denn wenige Jahre später verurteilte ihn das Parlament
zum Tod durch Enthauptung. Seither ist niemals wieder ein König im Unterhaus
zugelassen worden.

Folglich besteht die Taktik des Parlamentes seit Jahrhunderten darin, sich
den Ansprüchen der Monarchen zu widersetzen, indem es angeblich in ihrem Namen
handelt. So gehören beispielsweise alle öffentlichen Einrichtungen in England
dem Souverän, von den Gefängnissen bis zu den Briefkästen, doch ist er genau
in diesem Bereich völlig machtlos. Wohl empfängt die Königin den Ministerpräsidenten
einmal wöchentlich, um mit ihm laufende Geschäfte zu bereden, doch hat sie keinerlei
Weisungsbefugnis. Seit Heinrich VIII. steht die Königin an der Spitze der anglikanischen
Kirche (Church of England) und herrscht außerdem über sechzehn Länder des Commonwealth.
Elisabeth II. garantiert die demokratischen Freiheiten, doch kann sie sich im
Falle ihrer Mißachtung nur zurückziehen. Deshalb verzichtete sie auch auf ihre
königlichen Rechte über die Fidji-Inseln nach dem Militärputsch 1987.

Die Einsicht in sämtliche wichtigen Dokumente des Kabinetts und des Außenministeriums
macht die Queen zweifellos zu einer der bestunterrichteten Personen über die
Angelegenheiten des Reiches. Also gibt sie ihr Einverständnis (Royal Assent)
zu den Gesetzen des Unterhauses als Kennerin und ebenso besonnene wie geschätzte
Expertin. Aber hätte sie denn die Möglichkeit, Nein zu sagen?

Alljährlich im November (und nach jeder Legislaturwahl) begibt sie sich ins
Oberhaus, angetan mit dem traditionellen Hermelinmantel und der Königskrone,
um die Parlamentssitzung feierlich zu eröffnen und »ihre« politische Ansprache
zu halten. Doch wurde diese natürlich vom Ministerpräsidenten verfaßt. Auf diese
Weise sind die Königin (und ihre Familie) vor allem mit unzähligen Zeremonien
beschäftigt - Einweihung von Krankenhäusern und Bahnhöfen, Vorsitz bei Veteranen-Banketten,
Besuche bei Wohltätigkeitsverbänden - die ihr gar keine Zeit lassen, sich in
die Politik einzumischen, selbst wenn sie dies wollte. Zugleich wird der Ministerpräsident
um ebenso viele zeitraubende Pflichtübungen entlastet, so dass er sich seinerseits
ausschließlich den Staatsgeschäften widmen kann.

Die britischen königlichen Zeremonien obliegen traditionell den Herzögen von
Norfolk, denen schon immer eine lakonische Art nachgesagt wurde. Anläßlich der
Investitur von Charles als Prinz von Wales stellte sich heraus, dass bei schlechtem
Wetter nicht alle hochrangigen Gäste Platz unter der überdachten Tribüne finden
würden. Die wegen der Launen des Weather besorgten Veranstalter fragten: »Und
wenn es regnet?« »Dann werden wird naß«, entgegnete der Herzog von Norfolk.