Das Budget

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Das Budget

Alle Engländer, vor allem aber die Finanzkreise der City, fiebern dem Budget
Day entgegen, an dem der Haushalt im Parlament angekündigt wird. Die Haushaltsplanung,
vornehmlich die Steuerpolitik, wird so gut wie möglich geheimgehalten, bis der
Kanzler das Wort vor dem Unterhaus ergreift. An diesem Tag ist die Strangers
Gallery (Besucherränge) vollbesetzt mit Journalisten und Mitgliedern des Oberhauses.
Auch die Abgeordneten wetteifern um die besten Plätze: die Konservativen reservieren
sich ihre Sitze, indem sie eine auf ihren Namen ausgestellte Prayer Card (Gebetskarte)
dort liegen lassen. Nach Meinung der Labour-Abgeordneten läßt dieses System
an Demokratie zu wünschen übrig, weshalb sie sich lieber früher einfinden. Die
Agnostiker beider Lager, die am Gebet überhaupt nicht teilnehmen, begnügen sich
mit den übriggebliebenen Plätzen. Die Parlamentarier legen an diesem Tag besonderen
Wert darauf, ihre politische Zugehörigkeit eindeutig klarzumachen. So sieht
man etliche Zylinder und Seidenwesten bei den Konservativen, Arbeitsanzüge und
Schutzhelme in den Reihen der Arbeitervertreter.

Gegen drei Uhr nachmittags tritt der Kanzler aus seinem Büro in der Downing
Street Nummer 11 und präsentiert den wartenden Journalisten die berühmte Lederschatulle,
von Gladstone erstmals benutzt, in der sich die Ansprache nebst Budgetaufstellung
befindet. Dann fährt er ins Parlament, wo die Debatte ausnahmsweise vom Chairman
of Ways and Means moderiert wird, da es dem Speaker als Repräsentanten des Königshauses
schlecht anstünde, die Diskussion über die Finanzen des Reiches zu führen. Der
Kanzler verkünstelt sich mit einer absichtlich langatmigen und undurchsichtigen
Rede, um die eigentliche Ankündigung der Finanz- und Steuerpolitik hinauszuzögern,
bis die Börse geschlossen wird und er ein entsprechendes Signal erhält. Sobald
nämlich das Haushaltsprogramm bekannt ist, wird es den Börsenmaklern von eigens
dafür angestellten jungen Boten im Dauerlauf durch die City zugetragen.