Die Schattenvirtuosen

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Die Schattenvirtuosen

Nichts einfacher, als an einem griechischen Strand Ausländer von Einheimischen
zu unterscheiden: nach dem Bad legen erstere sich in den glühend heißen Sand
und verbringen dort Stunden; während letztere über die nächstgelegenen Sonnenschirme
herfallen, über das bißchen Schatten unter Kiefern, Olivenbäumen und Zelten.
Bei Griechen, die sich nach dem Mittagessen, zwischen 14 und 17 Uhr, noch auf
den Strand wagen, handelt es sich entweder um professionelle Aufreißer oder
Eisverkäufer!

Sind die Griechen etwa unempfänglich für die Sonne?

Ganz so ist es nicht. Schließlich herrscht in ihrem Land kein immerwährender
Sommer, legt der Frühling häufig ein launisches Wesen an den Tag, geben sich
die Winter manchmal überaus streng (in Makedonien und Thrakien kann das Thermometer
auf -20° C sinken) und die Sommer regnerisch, mit Wind und furchtbaren Gewittern.
Die sommerliche Trockenheit dagegen - sie ist in bestimmten Regionen sehr ausgeprägt,
insbesondere auf Ostkreta, den südlichen Kykladen und in Attika - läßt die Bauern
kaum zu fanatischen Anhängern einer Sonne werden, die bebaute Felder peinigt
und Weideland versengt. In dieser Jahreszeit wird die Wasserversorgung höchst
problematisch, um so mehr als die sommerliche Touristenzusammenballungen auf
Mykonos, Santorin, Patmos, Kreta und in den großen Städten für den Betrieb von
Duschen und Hotelschwimmbädern nahezu ein Viertel der örtlichen Wasservorräte
verzehren. Deshalb ist ein Regenschauer im Juli ein Segen und so werden die
ersten Regenfälle im Herbst ungeduldig erwartet.

Gemeinhin sind die Griechen regelrecht verrückt nach Schatten und nutzen virtuos
den geringsten Luftzug. Im Sommer, während der sakrosankten Siesta, lassen sie
sich auf einem schattigen Plätzchen im Garten oder auf dem Balkon nieder, nehmen
sie Zuflucht unter die Sonnenschirme, strecken sie sich im luftdurchfächelten
Durchgang zwischen zwei Häusern aus, stets auf der Suche nach ein wenig Kühlung.
Des nachts verwandeln sich Terrassen und Höfe in Schlafsäle und überall lassen
sich das Surren der Ventilatoren und das Scheppern von Eiswürfeln im Glas vernehmen.