Louisbourg

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Louisbourg

„Gibraltar der Neuen Welt“, so lautete im 18. Jh. der Beinamen der mächtigen französischen Seefestung an der Südküste des Kap Breton. Nationale Eiferer verstiegen sich sogar zu der Bezeichnung „Dünkirchen Amerikas“, obwohl dieses doch eher flämisch geprägt war und ist. Fest steht, dass Louisbourg Engländer und Franzosen nicht gleichgültig läßt, schleiften erstere doch das strahlende Wahrzeichen französischer Präsenz an der Nordküste Amerikas im 18. Jh. bis auf die Grundmauern. Was heute noch davon zu sehen ist, entpuppt sich als originalgetreuer Nachbau, der zwanzig Jahre Arbeit und die federführende kanadische Regierung umgerechnet etwa 250 Millionen DM gekostet hat. Ein pharaonisches Werk also, das seinesgleichen sucht. Drum gehört Louisbourg auch zum Pflichtprogramm auf jeder Neuschottlandtour; eine aufregendere „Zeitmaschine“ findet man in ganz Kanada nicht.

Geschichtliches

Fischfang, Handel und militärisches Kalkül bewegten Frankreich dazu, an dieser Stelle, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagten, eine so mächtige, bedeutende Festung zu errichten. Zunächst der Fischfang: 1718 übertraf die Kabeljauausfuhr vom Kap Breton (Ile Royale) wertmäßig die Fellexporte aus ganz Französisch-Kanada um das Dreifache. In diesem Schicksalsjahr trat Frankreich in Erfüllung des Vertrags von Utrecht, der dem Siebenjährigen Krieg zwischen Frankreich und England ein Ende gesetzt hatte, Akadien und Neufundland zähneknirschend an seinen Erzrivalen jenseits des Ärmelkanals ab. Seine Meereshäfen durfte es jedoch behalten, zumindest die auf der Ile Royale (Kap Breton) und auf der Ile Saint-Jean (Prince-Edward-Island). Dort läßt sich eine kleine Kolonie von Offizieren, einfachen Soldaten, Seeleuten, Handwerkern und Händlern nieder, wobei das männliche Geschlecht zunächst überwog. Ihre Frauen folgten alsbald nach, dann die Kinder. Niedere Verrichtungen überließen die französischen Kolonisten Indianern oder Sklaven, die sie von den Antillen heranschafften. 1713 erbaut, zählte die Festung Louisbourg 1744 schon rund zweitausend Seelen und wetteiferte mit den Handelszentren Boston und New York! Klar, dass sowas eine Stange Geld kostet. Und so erzählte man sich seinerzeit hinter vorgehaltener Hand, Ludwig XV. verfolge nur ein einziger Alptraum: dass er von seiner Bettstatt in Versailles eines Morgens die Dächer von Louisbourg ausmachen könnte!

Nach drei Jahrzehnten relativen Wohlstands und Friedens brechen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England erneut los. Diesmal reißen sich die englischen Kolonisten aus dem benachbarten Neuengland Louisbourg unter den Nagel, um sich des Kabeljaumarkts zu bemächtigen und so ganz nebenbei auch noch die Franzosen aus Nordamerika zu vertreiben. 1745 fällt die Stadt nach vierzigtägiger Belagerung in die Hände der zahlenmäßig überlegenen englischen Truppen – drum loben die Franzosen bis heute den tapferen Widerstand ihrer damaligen Landsleute. 1760 werden die Festungsanlagen bis auf die Grundmauern geschleift. Louisbourg, die tote Stadt, verfällt.

Dabei hätte es die Geschichte bewenden lassen können, und wir wandelten heute über ein Trümmerfeld. Aber da wurde die Idee geboren, Louisbourg fast zweihundert Jahre nach seiner vollständigen Zerstörung wieder auferstehen zu lassen.

Nun sind die Kanadier bekanntlich zu allem fähig, wenn es darum geht, Geschichte begreifbar zu machen und die nationale Vergangenheit (das „kollektive Gedächtnis“) wiederaufleben zu lassen. Das Projekt Louisbourg gereicht ihnen zur Ehre, war so uneigennützig aber auch nicht: die örtliche Wirtschaft lag damals nämlich infolge des Niedergangs der Kohleindustrie darnieder, und so wirkte der Wiederaufbau Louisbourgs wie ein kleines Konjunkturprogramm.


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