Transsibirische Eisenbahn

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Transsibirische Eisenbahn

Transsib sichert das Überleben von vielen

Transsib – Zug der Züge. Sein Mythos zieht seit hundert Jahren Tausende von Weltenbummlern in seinen Bann. Die Fahrt auf der längsten Bahnstrecke der Welt war immer schon ein Erlebnis, das seinesgleichen suchte. Heute ist sie erschwinglicher und müheloser zu buchen denn je. Wer in die Mongolei reisen will und nicht schon beim bloßen Gedanken an Züge von Platzangst überfallen wird – wohlan, dies ist der schönste Weg zum Ziel.

Den besonderen Reiz der Transsib macht auch aus, dass sie nie eine reine Touristenangelegenheit war wie viele andere »große« Züge, etwa der Blue Train in Südafrika, der Eastern Oriental Express von Bangkok nach Singapur oder Australiens Coast-to-Coast-Züge. Im Gegenteil, bis heute ist die Transsib nicht aus dem sibirischen Verkehrswesen wegzudenken. In einem Land, das keine ganzjährig befahrbare Transitstraße besitzt und Güterverkehr weiterhin nur über die Schiene abwickeln kann. Durch die Transsib werden endlose Landstriche mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Mit Nahrung, Konsumgütern, Mobilität und der Gewißheit, im fernen Moskau noch nicht vergessen zu sein.

Geschichte

Das Verkehrsmittel Eisenbahn steckte noch in seinen Kindergleisen, als Mitte des 19. Jh. nacheinander mehrere Abenteurer und findige Geschäftsleute dem Zarenhof die Bezwingung Sibiriens per Bahn vorschlugen. Der US-Amerikaner Perry McDonough Collins wollte 1857 auf dem Amur östlich des Baikalsees Dampfertouren veranstalten und hätte gerne vom Zar eine Zubringerstrecke ab/nach Irkutsk gehabt. Der russische Graf Murawjew-Amurski verfolgte 1858 ebenfalls private Interessen an Amur und Ussuri. Der englische Ingenieur Thomas Dull dachte an eine Tramstrecke westlich des Ural, von Nishnij-Nowgorod nach Perm, je nach Bedingungen vorangetrieben von einer Dampflok oder – von Pferden.

Bedarf & Vertrag

Jeder dieser (wie auch eine Vielzahl ähnlicher) Pläne wurde zwar abgewiesen. Sie machten aber den dringenden Bedarf nach einem zuverlässigen, winterfesten Verkehrs- und Handelsweg durch die Weiten der sibirischen Taiga deutlich. Bisher gab es lediglich die alte Poststraße (veliky trakt), die eher einem ungeplegten Wanderpfad durch Staub, Sumpf und Schnee glich, und als Verkehrsmittel über Land Kutschen und Pferdeschlitten.

Als die östlichen Nachbarn Japan und China begehrliche Blicke auf ostsibirische Territorien warfen, die der Moskauer Kontrolle und Sicherung so weit entzogen waren, mußte gehandelt werden. Der reformfreudige Zar Alexander II. (1855 bis 1881) stand dem Ansinnen einer Eisenbahn durch Sibirien zwar positiv gegenüber, erfuhr aber wie sein Nachfolger Alexander III. (1881 bis 1894) heftigen Widerstand von vielen Seiten.

Ingenieure und Provinzstatthalter konnten sich über die Streckenfürung nicht einigen, Schatzmeister und Minister nicht über die Finanzierung des Projekts. Über 30 Jahre lang wurde verhandelt und verworfen, besprochen und bestochen, bis am 24. Februar 1891 endlich ein vollständiges Abkommen vorlag. Zar Alexander III. unterzeichnete den Vertrag über den Bau der Transsibirischen Eisenbahn von Tscheljabinsk im Süd-Ural nach Wladiwostok am Pazifischen Ozean.

Baubeginn

Wenig später, am 31. Mai 1891, durfte Zarewitsch Nikolaus in Wladiwostok die erste Schubkarre leeren, als symbolischen Baubeginn für die Ussuri-Strecke. Die östlichste russische Stadt mit Bahnanbindung war bislang Tscheljabinsk gewesen. Die 7500 Kilometer, die von hier aus noch bis Wladiwostok fehlten, wurden in mehrere Bauabschnitte aufgeteilt: westsibirische Taiga, mittelsibirisches Bergland, Baikal-Umfahrung, Amur und Ussuri.

Da planmäßig an allen Abschnitten zugleich begonnen werden sollte, stellte sich als größtes Problem im dünnbesiedelten Sibirien bald der Mangel an Arbeitskräften dar. Also wurden Verbannte und Häftlinge (gegen Teilerlaß ihrer Strafen), Soldaten und Gastarbeiter herangezogen. Vor Ort gab es meist nur eine Regel: geradeaus in die Steppe bauen, mit einfachem Arbeitsgerät, konfrontiert mit wechselnden Widrigkeiten, zu denen auch Gaunerbanden und unfähige Planer zählten.

Der Ussuri-Abschnitt

Nach dem ersten »Spatenstich«, der auch als Geste für den mächtigen Nachbarn Japan im äußersten Osten erfolgte, war erst mal Zähneklappern am Ussuri. Die 767 km lange Strecke von Wladiwostok nach Chabarowsk konnte erst nach sechs Jahren fertiggestellt werden. Baumaterial ließ oft monatelang auf sich warten. Ständig herrschte Mangel an Arbeitskräften, doch die angeheuerten Gastarbeiter von der Insel Sachalin bewirkten nur einen rasanten Anstieg der Verbrechensrate.

Und dann wehrte sich auch noch die Natur nach Kräften. Mückenschwärme verbreiteten immer wieder Krankheiten, Pferde gingen elendiglich an Milzbrand zugrunde, Flüsse schwollen auf Rekordhöhen, mandschurische Tiger verbreiteten Angst und Schrecken in den Arbeitercamps. So rollte erst im Mai 1897 ein offizieller Zug die Strecke von Wladiwostok nach Chabarowsk ab – für 767 km benötigte er über zwei Tage.