Winnipeg

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Winnipeg (Vorwahl: 204)

Typisch amerikanische und auf den ersten Blick seelenlose Stadt, deren Vororte sich endlos in die Länge ziehen, gerade so wie die Prärie drumherum. Irgendwann fährt man auf breiten Straßen hinein, einige Zeit später ist man wieder draußen, ohne es recht zu merken, und fragt sich, wo eigentlich die Innenstadt gewesen sein soll. Tatsächlich hat Winnipeg mehrere Kerne, die über die großzügig dimensionierte Gemarkung verstreut sind, was den Besitz eines fahrbaren Untersatzes nahelegt. Hier erweist sich wieder einmal, dass Kanada in gleichem Maße mit einem Übermaß an Geographie zu kämpfen hat, wie Europa an einem Zuviel an Geschichte ...

Winnipeg verdankt seine Entstehung der geographisch günstigen Lage am schiffbaren Red River und an der Ost-West-Achse durch die Prärieprovinzen, die es als Umschlag- und Lagerplatz für Getreide geradezu prädestinierte. Felder waren bereits reichlich vorhanden; das einzige, was noch fehlte, war eine Eisenbahnverbindung (1882). Später waren es vor allem die Einwanderer aus der Ukraine, aus Rußland, Italien, Polen und China, die auch das kulturelle Leben voranbrachten. Außer dem (frankophonen) Saint-Boniface-Viertel und dem allerdings sehenswerten Manitoba Man and Nature Museum hat Winnipeg uns nur wenig zu bieten. Wen es in die Natur zieht, wird im Norden glücklich werden: am Winnipeg-See, Mekka aller Petrijünger.

Ein wenig Geschichte

Winnipeg, ehemalige Börse für den Pelzhandel, der von den beiden großen Handelsgesellschaften im Nordwesten und an der Hudsonbai betrieben wurde, entwickelte sich vor allem am rechten Ufer des Red River, wo auch das Saint-Boniface-Viertel entstand, heute noch Mittelpunkt der französischsprachigen Manitobans (Winnipeg ist offiziell wieder zweisprachig). Hier bildete sich im Laufe der Zeit die typische indianisch-europäische Mischbevölkerung (Métis) heraus: Angestellte und Arbeiter der Handelsgesellschaften gründeten mit den Frauen namentlich des Cree-Indianerstammes Familien. Die Bois Brûlés (wörtlich: die „verbrannten Wälder“, gemeint sind die französichstämmigen Mischlinge) lebten von der Jagd und später vom Ackerbau. Das Zusammenleben ging so lange gut, bis die 1867 gegündete Neue Konföderation sich das Land, das bis dahin den Pelzgesellschaften gehörte, anzueignen begann. Die katholischen Mischlinge, deren Rechte die Regierung mit Füßen trat, wurden zur Seite gedrängt und es kam zu Aufruhr. Der noch junge Louis Riel, ein studierter Kopf, übernahm die geistige Führung des Aufstandes und führte bewaffnete Gruppen gegen die Landvermesser, die das Land zu konfiszieren versuchten. 1870 schließlich wurde ein Gesetz erlassen, mit dem die Provinz Manitoba gegründet und die Rechte der Mischlinge wieder hergestellt wurden. Kurz darauf flüchtete Louis Riel in die Vereinigten Staaten und die meisten Einwohner Manitobas zogen in die Nachbarprovinz Saskatchewan. Zwanzig Jahre später, als die Regierung den Anschluß der Westprovinzen (Britisch-Kolumbien) anstrebte, kaufte sie auch die Ländereien von Sasketchewan auf – das Drama wiederholte sich. Unruhen, erneut unter Führung Riels, brachen aus, Riel wurde verhaftet und 1885 in Regina gehängt. Riel wird heute von den Nachkommen der Métis in Manitoba als Volksheld und Märtyrer angesehen, der das Bewußtsein eines unterdrückten Volkes wachgerüttelt und dem blinden Expansionsdrang der Konföderation Einhalt zu gebieten versucht hat. Sein Elternhaus in Winnipeg ist Museum, sein Grab längst Touristenattraktion.


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