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Tag eines Horuspriesters

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Der Tag eines Horuspriesters

Nach der Eroberung durch Alexander wurde Ägypten von einer regelrechten Bauwut
erfaßt: möglicherweise ein Mittel, angesichts der neuen, vom Ausland eingeführten
Denkart wenigstens die eigene kulturelle Identität mit Vehemenz zu verteidigen,
nachdem man bereits die politische Unabhängigkeit eingebüßt hatte. Aufgrund
archäologischer Spuren bzw. Erwähnungen in Texten konnte man etwa hundert Tempel
aus dieser Zeit ausmachen, von denen leider viele mittlerweile verschwunden,
andere in einem erbärmlichen Zustand sind. Am linken Nilufer indes ist der Tempel
von Edfu fast vollständig erhalten geblieben und beherrscht durch seine Masse
die ihn umgebende kleine Stadt. Falls jemand aus Eile oder Überdruß beschließen
sollte, nur einen einzigen Tempel aus dieser Zeit zu besichtigen, dann diesen.
Man wagt es kaum, von einer Ruine zu sprechen. Betritt man sein Inneres, seinen
Hof, seine Säulenhalle, immer merkwürdigere Räume, so neigt man vielmehr zu
der Annahme, er sei gerade erst – aus welchen Gründen auch immer – von seinen
Priestern verlassen worden. Die Gebäudemauern bedecken Abbildungen und Texte,
die Einzelheiten aus der Geschichte des Tempels erzählen. Die Ptolemäer ließen
sich, einer weit verbreiteten ägyptischen Tradition folgend, gegenüber den Gottheiten
porträtieren, aber wir wissen aus sicherer Quelle, dass nur die Priester, welche
die strikten Reinheitsgesetze einhielten, dieses Ritual ausführten. Wir lernen
hier, dass Horus, dessen Bild am Grunde des Naos ruhte, einmal im Jahr Hathor,
die Gattin aus Dendera, zum Vereinigungsfest empfing; dass er ein anderes Mal
Seth, den Feind seines Vaters Osiris, bezwang. Der Tempel liest sich wie ein
dickes Buch, wie eine regelrechte Zusammenfassung priesterlicher Wissenschaft
jener Zeit, aus der die Mythen und feierlichen Zeremonien überliefert sind.

Längst gibt es keine kahlgeschorenen, in weißes Leinen gekleideten Priester
mehr, um jeden Morgen das nunmehr verlassene Gotteshaus zu öffnen; es hindert
uns auch niemand mehr daran, bis ins letzte Heiligtum vorzudringen.

Kom Ombo

Jenseits von Edfu verschmälert sich das Tal und bildet eine Art Engpaß, den
Gebel Silsileh. In den hiesigen Steinbrüchen gewann man Sandstein, der zusammen
mit dem Kalkstein aus Tura und dem Granit aus Assuan das Hauptbaumaterial für
zahlreiche Tempel lieferten. Unmittelbar in den Fels gearbei-tete Erinnerungsstelen
zeugen bis heute von der Geschäftigkeit dieses Ortes, wo die Quader auf Boote
verladen wurden.

Anschließend weitet sich das Tal wieder und wir erreichen den Wadi Kom Ombo,
dessen landwirtschaftliche Nutzung der Bewässerung zu danken ist. Hierher wurde
ein Teil der Bewohner ägyptisch Nubiens verfrachtet. Die Menschen versuchten,
sich mehr schlecht als recht in der Region einzugewöhnen und den neuen, für
sie angelegten Betondörfern Leben einzuhauchen.

Der Tempel von Kom Ombo, ebenso wie jener zu Edfu ptolemäisch und römisch,
nimmt eine Ausnahmestellung unter den ägyptischen Tempeln ein. Auf einem Hügel
errichtet, überragt er nach Art einer Akropolis den Fluß, der an dieser Stelle
in einer weiten Kurve verläuft. Dieser Zwillingstempel war zugleich dem krokodilköpfigen
Gott Sobek und Haroeris, Horus dem Älteren, geweiht. Er erlitt schwere Beschädigungen,
aber der wind- und wettergegerbte Stein hat sich mit einer stündlich wechselnden
Patina überzogen, die zu betrachten man nicht müde wird.