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Luxor

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Von einer Hauptstadt zu anderen

An jenem Tag kreischten

die Spatzen im Ramesseum.


André Malraux

Luxor-Stadt

Wo einst das von Homer besungene alte Theben stand, erwartet uns heute Luxor,
Höhepunkt des ägyptischen Reiseabenteuers. Ob man per Zug, per Bus oder mit
dem Auto unterwegs ist, ob Schiffs- oder Flugzeugreise – für Luxor muß ein langer
Aufenthalt eingeplant werden, um dieses ausgedehnte Freilichtmuseum in aller
Ruhe zu erkunden. Andernfalls droht bald Übersättigung.

Übrigens: Nach den Anschlägen auf Touristen sind die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden. Busausflüge nach Luxor finden nur im Konvoi statt ( ca. 30 - 40 Busse ), begleitet von Polizisten. Straßenkreuzungen in Städten, durch die der Konvoi fährt, sind gesperrt, die Busse fahren ohne Zwischenstopps von Checkpoint zu Checkpoint.

Im 19. Jh. war Luxor nicht viel mehr als ein Marktflecken. Die Stadt nahm ihren
Aufschwung mit dem Fremdenverkehr, doch hält sich ihre Erstreckung nach wie
vor in Grenzen: der Weg zwischen Bahnhof und Niluferstraße entpuppt sich als
kurzer Spaziergang entlang der Hauptverkehrsader, zwischen kleinen Läden und
Kebabbuden. In der äußerst belebten Suk-Gasse vermengen sich Obst- und Gemüsemarkterzeugnisse
mit lokalem Kunsthandwerk und entsetzlichem Kitsch pharaonischer Eingebung,
der bisweilen direkt aus Hongkong eingeführt wird.

Am Nilufer bauen sich die ältesten Hotels auf: Prunkstück ist noch immer das
Winter Palace im altrosa Putz. Obwohl nicht jede Renovierung gleichermaßen gut
gelang, bewahrt es einen altertümlichen Reiz, der durch die Erinnerung an André
Gide, Francis Carco und viele andere erhöht wird. Nach hinten öffnet sich die
Terrasse auf einen üppigen Garten, der im Frühjahr unter Bougainvilleen, Hibiskusblüten
und Flamboyants verschwindet. Die Flußböschung ist mit Gartenlokalen übersät;
dort schlürft man abends gerne einen leicht säuerlichen Lemun (Limonade). Manchmal
entlockt ein Gelegenheitsmusiker seiner Rababa die hohen Töne einer volkstümlichen
Melodie. Um diese Tageszeit ist es auch ein Genuß, in einer gemieteten Feluke
stromabwärts zu treiben, die erfrischende Brise im Rücken.

Sicherlich gefällt es einigen besser am linken Ufer, wohin die Fähre übersetzt.
Auf den rund hundertfünfzig Kilometern zwischen Kena im Norden und Edfu im Süden
existiert keine einzige Brücke. In Luxor schwelt ein alter Streit zwischen der
Stadtverwaltung, die einen Brückenbau plant, und dem in der Hand einer Familie
befindlichen Fährunternehmen. So leicht läßt sie sich das einträgliche Geschäft
nicht abnehmen. Seit 1983 erspart immerhin eine Autofähre den Umweg über Kena
oder Edfu.

Die am alten Holzsteg anlegende Fähre ist bei weitem dem unpersönlichen Touristendampfer
vorzuziehen, auf dem die Überfahrt zehnmal mehr kostet. An Markttagen geht hier
frühmorgens eine dichte Menge von Fellachen und Bauersfrauen an Land, gehüllt
in schwarze Melayas. Auf dem Kopf tragen sie ein paar Eier, ein Huhn, eine Ente,
Gemüse: nicht anders als in uralten Zeiten, wenn die Dienerinnen ihrem Herrn
die Feld- und Hoferzeugnisse darboten.

Die fehlende Brücke hat auch ihr Gutes, zumindest in unseren Augen. Mehr als
ein Ägypter mag sich darüber ärgern, dass dadurch die wirtschaftliche Entwicklung
behindert wird. Andererseits konnten bisher auch grobe Verschandelungen in dieser
Hauptstadt des internationalen Tourismus´ vermieden werden. Das somit thebanische
linke Ufer hat sich seit Ewigkeiten kaum verändert, und der Blick fällt hier
auf keinen dieser häßlichen Betonklötze, die so viele attraktive Orte verunstalten.
Wer sich mit einem minimalen Komfort begnügt und nicht allzu pingelig mit der
Bettwäsche ist, kann ohne weiteres in den denkbar bescheidenen Hotels am linken
Ufer Quartier nehmen: bei Scheich Ali neben dem Ramesseum – ein Nachkomme der
berühmten Grabräuber-Familie Abd al-Rassul – oder im Hotel Habu gegenüber des
stattlichen Medinet-Habu-Tempels. Die beschauliche Schönheit der Umgebung entschädigt
reichlich für die dürftige Unterkunft. Tief aus der Nacht dringt bisweilen zwischen
Hundegebell der eindringlich monotone Gesang einer Zikr hervor, einer männlichen
Gebetsversammlung, die unter freiem Himmel und mit wiegenden Oberkörpern den
Namen Allahs anruft.

Luxor-Tempel

Mitten in Luxor erhebt sich der Amun-Tempel, als bilde er noch immer das Herz
der Stadt. In seinem ersten Hof beherbergt er die Moschee des ehrwürdigen Scheichs
Abu´I Haggag, die jedes Jahr von Pilgern aufgesucht wird. Unverwüstlichkeit
der heiligen Stätten.

Dem Pylon vorgelagert, wie das monumentale Eingangstor der ägyptischen Tempel
genannt wird, steht nurmehr ein einzelner Obelisk. Den anderen schenkte Mohammed
Ali Frankreich, wo er nach einigem Hin und Her schließlich 1836 auf der Place
de la Concorde aufgestellt wurde.

Das Denkmal ist trotz seiner mehrfachen Erweiterung
höchst einfach zu begreifen. Zwischen dem ersten, Ramses II. gewidmeten Pylon,
und dem zweiten von Amenophis III. liegt ein geräumiger Hof mit einer Säulenhalle.
Das Volk war hier nur an den hohen Feiertagen zugelassen, wenn eine Prozession
den Gott hinaustrug. Dahinter führt ein langer Säulengang bis in den letzten
Portikus-Hof, ebenfalls ein Werk Amenophis III. Daran schlossen sich die verbotenen
Gemächer an: das Hypostylon, dahinter mehrere Vorhallen, der Aufbewahrungsraum
für die göttliche Barke, die Alexander nachbauen ließ, und schließlich das Allerheiligste
im tiefsten Inneren, wo eine Statue des Gottes im Naos stand. Dort hatte nur
der Hohepriester der Gottheit Zutritt, um stellvertretend für den König den
täglichen Kult zu verrichten.

Dieser Grundriß, der trotz verschiedener Veränderungen
noch deutlich hervortritt, erklärt Rolle und Funktion eines ägyptischen Tempels.
Weit davon entfernt, ein Ort kollektiver Frömmigkeit für die Gläubigen zu sein,
wie es die Kirchen, Synagogen und Moscheen sind, diente er vielmehr als irdische
Behausung eines Gottes oder seines Abbildes, in dem er sich inkarnieren konnte.
Dieser Gottesersatz war der Gegenstand tagtäglicher Pflege. Er wurde angekleidet,
mit Opfergaben versorgt, beweihräuchert und angebetet. Das normale Ritual wurde
an Festtagen durch eine feierliche Liturgie ergänzt. Solange die Priester diesen
Gottesdienst einwandfrei gewährleisteten, blieb die Weltordnung erhalten. Denn
der Tempel repräsentierte zugleich den Kosmos, war symbolisches und verkleinertes
Abbild der geordneten Welt, die aus dem Urwasser aufgetaucht war.