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Karnak: Amuns Reich

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Ein vorbildliches Museum

Seit den siebziger Jahren weichen die alten Kaleschen dem Autoverkehr, und
so legt man die fünf Kilometer zwischen Luxor und Karnak oft im Taxi zurück,
vorbei am Museum für thebanische Kunstgeschichte. Das 1975 eröffnete Museum
ist einen Besuch wert. Vorzugsweise halte man sich am späten Nachmittag in diesem
modernen Gebäude auf, das sich durch eine schlichte und funktionale Einrichtung
auszeichnet. Es ist genau das Gegenteil des Kairoer Museums, was Größe und Konzeption
betrifft. Statt Vollständigkeit wird hier die Synthese einer begrenzten Auswahl
an Exponaten angestrebt. Jedes davon besticht durch besondere Qualität, sowohl
vom Erhaltungszustand her wie vom ästhetischen oder wissenschaftlichen Wert.

Karnak: Amuns Reich

Am Ende der Straße, den Nil als Hintergrund, erhebt sich der gigantische Pylon
des Tempels von Karnak. Sphinxe mit Hammelköpfen säumen die Allee. Diese überdimensionierte
Anlage, die größte in Ägypten, steckt das Reich der dynastischen Gottheit Amun
ab; hier finden sich auch die Gemächer seiner Gattin Mut und seines Sohnes Khonsu.

Ein einzelner Besucher muß sich hier zweifach vorsehen: zum einen läuft er
ständig Gefahr, dass ihn die Flut von dichtgedrängten Touristengruppen unter
den Fähnchen ihrer Führer mitreißt; zum anderen sind starke Nerven vonnöten,
um das aufwühlende Chaosempfinden beim Anblick der Ruinen zu ertragen. Es gibt
nur ein Mittel, um sich vor der lärmenden Menge zu schützen: die pralle Sonne.
Wer sich also zur heißesten Tageszeit hier aufhält, muß nur noch darauf achten,
dass er keinen Sonnenstich bekommt. Der Beklemmung angesichts dieser unermeßlichen
Weite läßt sich auf zwei Weisen begegnen: entweder mit Hingabe und Kontemplation,
indem man sich den Eindrücken überläßt, das Lichtspiel zwischen den Säulen im
Hypostylon genießt und in die Atmosphäre des kleinen Ptah-Heiligtums eintaucht,
wo sich die Statue des Gottes im Zwielicht verliert; oder indem man das Wirrwarr
sortiert und seine Logik zu begreifen versucht. Dazu sollte man wissen, dass
der Ort im Altertum eine offene Baustelle war. Seit dem Mittleren Reich, als
der Tempel seine Bedeutung erlangte, bis zu den Ptolemäern fand hier ein ständiges
Bauen und Zerstören statt; die religiösen Aktivitäten wurden dadurch nicht unterbrochen.
Jeder Pharao wollte den Gebäuden seinen Stempel aufdrücken und seine Vorgänger
damit in den Schatten stellen. So zögerte man nicht, bereits verbautes Material
an Ort und Stelle wiederzuverwenden.

Wer die unvermittelte Begegnung mit Karnak scheut, sollte den kleinen Umweg
über das Freilichtmuseum auf der linken Seite des ersten Hofes machen. Zu den
dortigen Sehenswürdigkeiten zählt insbesondere die Weiße Kapelle, ein kleines,
vollendet proportioniertes Kalksteingebäude. Die Blöcke mit der Inschrift Sesostris
I. waren fast vollzählig in einem später errichteten Monument verwendet worden,
so dass die Kapelle originalgetreu wieder zusammengesetzt werden konnte.

Organisiertes Chaos

Das Wissen um die zwei Hauptachsen der baulichen Anordnung erleichtert die
Orientierung. In West-Ost-Richtung gelangt man in den ersten Hof. Dort steht
noch ein Schaft, einziges Überbleibsel einer Kolonnade aus der Zeit Taharkas,
eines Pharaos der XXV. Dynastie. Es folgt das Hypostylon, jener berühmte und
vielfach gerühmte Wald aus hundertvierunddreißig Säulen. Dahinter öffnet sich
ein Hof, der im Mittleren Reich angelegt wurde. Dieser älteste Teil des Tempels
ist zugleich jener, an dem die meisten Veränderungen vorgenommen wurden. Früher
stand hier das Allerheiligste. Wir können jetzt genausogut die Süd-Nord-Richtung
einschlagen: sie führt durch den »Versteck-Hof, in dem die ausgedienten Götterfiguren
pietätvoll in eine Grube gelegt wurden; von hier aus gelangt man auf einen Platz
mit vier Pylonen, der sich draußen in einer Sphinx-Allee bis zum abgeschlossenen
Bezirk der Göttin Mut fortsetzt.

Am heiligen See finden erschöpfte Reisende himmlische Ruhe. Stufen führen zum
Wasser hinab. Das Ufer wurde leider durch wuchtige Betontribünen für das Publikum
von Licht- und Tonvorführungen verunstaltet. Jeden Abend erstrahlt der Tempel
von Karnak in blauem und grünem Licht, dann färbt er sich feuerrot, während
ein pompöser Text zwischen den Mauern erschallt. Wer dieser Art von Spektakel
abhold ist, wird vermutlich einen romantischen Spaziergang in der Nähe vorziehen:
um den Tempel von Luxor, bei diskreter und geschmackvoller künstlicher Beleuchtung,
oder auch im Mondschein ...