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Uferwechsel

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Uferwechsel

Ab Luxor entdeckt man am anderen Nilufer das Libysche Gebirge. Düstere Öffnungen
durchbrechen den pyramidenförmigen Gipfel am Horizont: es sind die Gräber der
Vornehmen, die hier vor über dreitausend Jahren eingelassen wurden.

Am gegenüberliegenden Ufer warten zahlreiche Taxis auf Touristen, um sie von
einem Baudenkmal zum nächsten zu chauffieren. Nach einigem Hin und Her einigt
man sich auf einen vernünftigen Preis. Gute Laune und etwas Zeit sind die Voraussetzung
für einen Eselsritt, der einen sicher über die steinigen Wege nach oben bringt.
In Luxor sind auch Fahrräder zu mieten; da hat die eigene Phantasie zwar freien
Lauf, aber die Steigung zum Tal der Könige ist kein Honigschlecken um die Mittagszeit!

Moderne Architektur

Das Asphaltsträßchen eilt schnurstracks vom Schiffssteg ins Gebirge, mitten
durch die intensiv genutzten Felder. Unterwegs kommt man durch ein bemerkenswertes
Dorf aus lauter Kuppelhäusern – ein bemerkenswertes Beispiel für die Bauweise
mit ungebrannten Ziegeln, die sich der Landschaft und dem Klima so trefflich
anpaßt. Hassan Fathy schuf dieses Dorf zur Umsiedlung der Einwohner von Gurna
im Auftrag der Regierung kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Doch inzwischen verfällt
es bereits wieder, ohne dass die dafür vorgesehenen Bewohner jemals eingetroffen
wären: sie weigerten sich, ihre angestammte Heimat am Berghang zwischen den
Gräbern zu verlassen. Nicht nur, weil sie hier geboren waren, sondern auch,
weil sie aus dieser Nähe schon immer mehr oder weniger legalen Gewinn zogen.

Halten wir einen Moment lang an diesem Ort inne. Er symbolisiert nicht nur
das Scheitern einer autoritären Umsiedlungspolitik, sondern auch den gelungenen
Versuch, der landesüblichen Architektur neue Geltung zu verschaffen. Ihr moderner
Interpret verdient gleichermaßen Bewunderung für den sparsamen Materialaufwand
wie für seinen Sinn für Menschen, Umwelt und Formschönheit.

Die singenden Statuen

Mit der Straße hat uns die Vergangenheit wieder. Bald tauchen die Kolosse von
Memnon auf, jene singenden Statuen der griechischen Überlieferung, gigantische
Sandsteinfiguren des Pharaos Amenophis III. Einst wachten sie über den Tempel
des Herrschers; heute erheben sie sich inmitten der Felder wie schweigende Hüterinnen
der Leere und Vorposten der Nekropole.

Im Hintergrund wirken die ockerfarbenen, grauen und weißen Würfelhäuser von
Gurna wie ein Klee-Gemälde. Es regnet nicht oft in Oberägypten. Deshalb wird
jeder Niederschlag zum Ereignis, das die Eintönigkeit der Jahreszeiten unterbricht.
An solchen Tagen bleibt kein Kind zu Hause; ein jedes ist damit beschäftigt,
an den ausgewaschenen Hängen Amulette oder antike blaue Perlen aufzulesen, die
dort im Regen glänzen. Nur ein noch selteneres Naturphänomen kann sich damit
messen: eine Mondfinsternis. Bei dieser Gelegenheit hält sich die gesamte Einwohnerschaft
im Freien auf und hämmert rhythmisch mit allen verfügbaren Utensilien, während
sie das Wiedererscheinen des Himmelskörpers erfleht. Da manifestiert sich die
Angst aus grauer Vorzeit, dass der Mond verschwinden könnte – ein unheilvolles
Vorzeichen. »Der Himmel hat den Mond geschluckt, heißt es in den antiken
Texten.

Tal der Könige

Ein enger, wilder Wadi zwängt sich ins Gebirge. Hier ließen die Pharaonen des
Neuen Reichs ihre unterirdischen Grabkammern errichten, gespickt mit Schächten,
um Grabräuber abzuschrecken. Vergebliche Mühe. Außer den Wandmalereien und -inschriften
fand man nichts mehr in den Gräbern, ausgenommen jenes von Tut-ench-Amun, dessen
provozierender Reichtum die Welt noch immer in Erstaunen versetzt.

Oberhalb der Anlage führt ein steiler Weg zum Tempel von Deir al-Bahari. Der
Architekt Senmut errichtete dieses einzigartige Bauwerk in Ägypten im Auftrag
der Königin Hatschepsut. Die drei schichtförmig angelegten Terrassen fügen sich
in vollendeter Harmonie in die Landschaft ein, ohne sie zu unterbrechen; vielmehr
werden die natürlichen Formen hervorgehoben und verstärkt. Reliefs verewigen
die Theogamie zwischen der Königin und dem Gott Amun sowie die Expedition nach
Punt, woher die ägyptischen Seefahrer Gold und Weihrauch heimbrachten.

Das Künstlerdorf

Auf diesem Weg entlang der schwindelerregenden Abbruchkante des Kalksteinmassivs
erreicht man einen Paß; dahinter beginnt der Abstieg nach Deir al-Madina, einem
dem Tal der Könige gegenüber verlaufenden Wadi, gleichsam dessen notwendiges
Pendant. Tatsächlich lebte hier eine Gruppe von Künstlern und Handwerkern in
einer Art Einsiedelei. Diesen Maurern, Graveuren, Bildhauern, Malern und Schreinern
oblagen der Bau und die Ausschmückung der Königsgräber. Sie arbeiteten in der
Gemeinschaft und wurden streng überwacht, weil das Geheimnis der Nekropole nicht
nach außen dringen durfte. Als Gegenleistung wurden ihnen erhebliche Privilegien
gewährt: in ihrer Freizeit durften sie ihre eigenen Grabstätten herrichten.
Man half sich gegenseitig, sie mit gemalten Szenen aus dem Alltag oder aus den
Mythen über das Jenseits zu verzieren: beschwingte kleine Meisterwerke blieben
uns vor allem in den Gräbern Sennefers und Pacheds erhalten. Wenn man bedenkt,
welchen Stellenwert die Ägypter dem Besitz einer Grabstatt zumaßen, Gewähr für
ein Leben nach dem Tode, und wenn man weiß, dass ein Großteil der Bevölkerung,
die Bauern, niemals ein Anrecht darauf bekam, so kann man das Vorrecht der Handwerker
in der Nekropole erst richtig ermessen.

Am Grunde des Wadi, nahe den Trümmern ihrer einst dichtgedrängten Behausungen
aus getrocknetem Schlamm, stießen Archäologen auf eine große Schutthalde. Gibt
es eine aussagekräftigere Fundgrube als Abfallbehälter? Dieser »Schatz lieferte
eine unvergleichliche Menge an Zeugnissen für das Alltagsleben der Menschen
damals: Abrechnungen, Briefe, Schularbeiten in hieratischer Schrift auf den
Ostraka, jenen Ton- oder Kalksteinscherben, die häufig zum Schreiben benutzt
wurden. Besser als anderswo in Ägypten blicken wir hier in das spontane, ungeschminkte
Antlitz von Arbeit, Krankheit, Streiks und Streitigkeiten, von den Familien-
und Liebesverhältnissen jener Zeit. Hier fühlen wir die Nähe – nicht zu den
idealisierten Menschen, deren Bilder die Ägypter mit Vorliebe in ihre Gräber
malen ließen, sondern zu den ganz normalen Leuten mit ihren alltäglichen Sorgen
und ihrer Lebensfreude.

Am Ende der Talmulde, in der dieses Dorf liegt, verbirgt sich hinter einem
Ziegelwall ein reizender kleiner Tempel. Die Ptolemäer errichteten ihn zu Ehren
ihrer Göttin Hathor, der Herrscherin des Westens. Am anderen Ende beginnt der
Weg zum Tal der Königinnen, jenem Gebirgseinschnitt, in dem die königlichen
Gemahlinnen und ihre Kinder bestattet wurden – nicht minder prächtig als die
Pharaonen.

Wo die Vornehmen ruhen

Wer bei Hofe etwas galt, ob Wesire, königliche Gutsverwalter, Schriftgelehrte
oder andere, kümmerte sich rechtzeitig um sein Fleckchen Ewigkeit. Ihre Gräber
stapeln sich zu Dutzenden in den Nekropolen von Assassif und Scheich Abd al-Gurna,
am Berghang über der Ebene. Heutzutage sind die Wohnungen der Lebenden und der
Toten unentwirrbar ineinander verschachtelt. Manches moderne Haus bietet direkten
Zugang zu einem antiken Grab. Die Kinder haben ein paar Fremdsprachenfetzen
von den Touristen gelernt und warten nur darauf, für ein Bakschisch die Führung
zu übernehmen. Die kleinen Mädchen in geblümten Kleidern, mit geflochteten oder
zerzausten Haaren, bieten naive Stoffpüppchen feil und verfolgen die Fremden
hüpfend und springend. Die Gräber sind so oft fotografiert worden, dass man sie
in- und auswendig zu kennen glaubt. Und trotzdem bleibt man staunend stehen
vor den schmeichelhaften, viel zu schmeichelhaften Profilen des Wesirs Rekhmire
und seiner Gattin, vor den kleinen nackten Dienerinnen in der Grabhöhle von
Nakht, die sich um ihren weißgekleideten Herrn zu schaffen machen. Wie lange
noch werden die frischen, zarten ägyptischen Gemälde dem Fremdenverkehr standhalten?

Von Tempel zu Tempel

Die Ruinen des Ramesseums, des Osymandias-Grabes, wie man sie noch im 19. Jh.
nannte, zeichnen sich am Rande der Pflanzungen ab. Akazienbäume spenden kargen
Schatten. Vögel hüpfen lärmend über das Antlitz des liegenden Ramses II. Tiefer
im Süden ragt der Tempel von Medinet Habu massiv und mächtig in den Himmel.
Mit seinen etwas schwerfällig anmutenden Säulen wurde er in einem Zug von Ramses
III. entworfen, der es als letzter mit dem Prunk seines illustren Vorgängers
gleichen Namens hat aufnehmen können. Wenn die Sonne am höchsten steht und die
Hunde sich in nur unmerklich kühlere Winkel verkriechen, ist man in diesen Höfen
und Hypostylen allein: die Mauern sind überzogen mit den bebilderten Berichten
von jenen großen Schlachten, die der König gegen seine Feinde, die Meeresvölker
und die Libyer, austrug. Die Siegestrophäen sind hier angehäuft. Noch triumphierte
Ägypten, bevor sein langer politischer und militärischer Verfall begann.

Rundum leuchtet kitschige Freskenmalerei in aufdringlichen Farben an weißverputzten
Hauswänden. Dort wohnen die Hadsch, fromme Mekkareisende, die auf diese Weise
Erinnerungen an die Wallfahrt zu den heiligen Stätten wachhalten.