Das urwüchsige Spanien

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Das urwüchsige Spanien

Altkastilien, Neukastilien, Meseta Castillana

Jenseits der bergigen Schranke beginnt eine andere Welt. Die satten Farben Nordspaniens werden, je nach Jahreszeit, abgelöst von den fast überirdisch wirkenden Schattierungen der frisch gepflügten oder durch Brachliegen gewonnenen Felder, des vorübergehend wie Samt erscheinenden jungen Weizens, dessen Farbe mit näherrückender Erntezeit in ein gedämpftes Gold übergeht, und der Felder, von den Schafen abgeweidet oder bisweilen durch Abbrennen geschwärzt. Die verstreut um die Gemeinden angeordneten Häuser und Weiler lösen dichter besiedelte Marktflecken ab, deren Ausdehnung nach Süden hin zunimmt, bis sie in den südlichen Landstriche ~ La Mancha, Extremadura und Andalusien ~ weitverzweigte Dörfer bilden. Die Wege verlieren ihre kurvenreiche Linienführung zugunsten gerader Straßen, die benachbarte Orte so direkt wie möglich miteinander verbinden. Die ganze Landschaft nimmt die Form eines riesigen Puzzles an, unterteilt in kleine, nicht durch Zäune voneinander getrennte Parzellen. Die nur noch vereinzelt auftretenden, knorrigen Bäume verlieren ihre intensive Farbe und legen ein fast ins Graue spielendes, strenger wirkendes Gewand an (verschiedene Eichenarten, darunter auch die immergrünen Eichen mit ihrer gedrungenen Krone). Grüne, das Tal durchziehende Linien setzen sich grell von der blassen Einheitsfarbe ab: Pappelhecken zittern im Wind und fassen Wiesen und kleine bewässerte Felder ein. Dort sind die Dörfer entstanden, die oftmals förmlich am Hang eines Hügels zu kleben scheinen, auf dessen Spitze die Zinnen einer Burg auszumachen sind.

Eine riesige Hochebene neigt sich so von Osten nach Westen, von tausend bis sechshundert Meter Höhe: die Meseta Castillana. Im Norden ist Altkastilien, verlängert durch die Region León, fast identisch mit dem Becken des Duero, der im Hochland bei Soria entspringt. Es wird von dem vom silbrigen Grün der Olivenbäume geprägten Neukastilien durch eine zum Teil mächtig erscheinende Bergkette getrennt, bestehend aus den Sierras de Guadarrama, de Gredos und de Bejar. Die Oberfläche dieses Höhenzugs nimmt im Süden Tafelform an und bildet die legendären Ebenen der La Mancha. In westlicher Richtung ist das Bodenprofil mit abnehmender Höhe immer stärker zerklüftet, und die beiden Flüsse Tajo und Guadiana senken sich jeweils in einen Talkessel, bevor sie Neukastilien verlassen und die Extremadura erreichen. Im Osten trennt ein wahrhaftiger Wehrgang die Meseta vom Ebrobecken, denn so wirken die massiven und dichtgedrängten, den Wäldern und Herden überlassenen Plateaus. Hierbei handelt es sich um das iberische Randgebirge. An das urwüchsige, wilde Spanien schließen sich die Senke des Ebro sowie die verschiedenen Provinzen an, die er durchfließt, nämlich Navarra, Aragonien und das Hinterland Kataloniens. Dort bestimmt das Landschaftsbild ein willkürlicheres Relief. Von einem Ende zum anderen erstreckt sich das Kerngebiet der Pyrenäenhalbinsel, in ständiger Konfrontation mit einem sich unablässig verändernden Himmel, von dem alles abhängt: Licht, Wind und vor allem Regen, dessen Launen entweder Angst oder Freude verbreiten.