Kulinarische Feste

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Kulinarische Feste

Das leibliche Wohl war zu allen Zeiten ein unverzichtbarer Bestandteil irdischer
Freuden, selbst dann, wenn Hungersnot und Armut herrschten. In den Bauersfamilien
verstand die Hausherrin an normalen Tagen mit der Suppe hauszuhalten, um die
für die Verschwendungssucht der Feste notwendigen Lebensmittel zu schonen. Heutzutage
können sich die meisten Spanier zum Glück eine reichhaltigere und abwechslungsreichere
Kost leisten. Essen ist für sie nicht länger die Befriedigung eines Bedürfnisses,
sondern ein Vergnügen, das sie sich unter Freunden gönnen: die tapas-Runden
von Bar zu Bar und die Schlemmeressen im Restaurant entwickelten sich zu einem
erschwinglichen Luxus.

Die Ausländer haben lange Zeit vor der spanischen Küche die Nase gerümpft -
aus Vorurteil oder aus Unwissenheit. Das wäre heute unverzeihlich. Man sollte
überhaupt eher von spanischen Küchen in der Mehrzahl sprechen, denn sie sind
so verschiedenartig wie das Land. Pedro Laín Entralgo, Arzt und Humanist, hat
in einem lapidaren Satz die Hauptgebiete unterschieden: »Im Süden wird fritiert,
in Kastilien gegrillt und im Norden mit Soße gekocht«. Diese gut beobachtete
Klassifizierung beruht auf den Mitteln, die jeder Region zur Verfügung stehen.

Das Öl aus andalusischen Oliven - das den größten Teil des spanischen Marktes
beliefert - erklärt die Allgegenwart des Gebratenen im Süden, im Restaurant
serviert, aber auch in den Bars zum Apéritif oder sogar nach Gewicht von den
spezialisierten freidurías in großen Papiertüten verkauft. Opulente Mahlzeiten
im übrigen, aus Fisch bestehend, begleitet von rohen Salaten, und im Sommer
eingeleitet durch den gazpacho, einer kalten Suppe, gewürzt mit einem Schuß
Essig, ein vorzüglicher Durststiller.

Kastilien seinerseits trumpft auf mit Lamm und Spanferkel, in irdenen Formen
gegrillt, wobei man sie der sanften Hitze der Backöfen anvertraut, die das zarte
Fleisch golden rösten, ohne es anzubrennen. So sieht die typische Küche einer
Gegend aus, deren Wallfahrtsort Segovia ist - hier verdient das Restaurant Mesón
de Cándido eine Pilgerfahrt - sowie das Dorf Peñafiel in Alt-Kastilien, wo die
Metzger an Festtagen mächtige Stücke gegrillten Fleischs auftischen. Aber die
Definition von Laín Entralgo verlangt, vervollständigt zu werden: in Kastilien,
einer kalten Gegend, mag man die stärkenden Gerichte, wie Knoblauchsuppe mit
Brot, Eiern und Speck als Beilagen im Winter, und fast das ganze Jahr über den
cocido, einen Eintopf, bei dem die Kichererbsen - garbanzos - eine Hauptrolle
spielen und der entweder die einfachste oder die üppigste Sache der Welt sein
kann.

Die Küche des Nordens ist mit Sicherheit die reichhaltigste und abwechslungsreichste
in ganz Spanien. Das liegt an der breiten Palette von Erzeugnissen aus Erde
und Meer. So strotzt die felsige Atlantikküste nur so von Fischen und mariscos
(Weich- und Krustentieren aller Art). Der Überfluß an Brennstoffen erklärt auch
die Angewohnheit, alles bei schwacher Hitze garen zu lassen, wobei Schweineschmalz
ursprünglich einen hohen Stellenwert einnahm - obwohl eigentlich eher Navarra,
Aragonien und Katalonien für Olivenöl zuständig sind. Jede Region bietet so
ihre kulinarischen Glanzstücke an, von denen es auch bescheidenere und preiswertere
Versionen gibt: Galicien kocht seinen pote, in dem die Kräuter aus dem Gemüsegarten
zusammen mit den Kartoffeln den lacón, einer Art geräucherter und sehr würziger
Vorderschinken, begleiten. Im bergigen Asturien tut man sich an der fabada gütlich,
einem Eintopf mit dicken Bohnen, gewürzt mit pikanter Wurst, wie Chorizo (Paprikawurst),
Blutwurst, Räucherschinken ... Das Baskenland hat eine ganze Reihe von Fischgerichten
mit Soße kreiert, mit Seehecht - merluza - und vor allem mit Kabeljau, der einst
in rauhen Mengen von den Fischern aus Neufundland mitgebracht wurde, eine Tradition,
die in der Altstadt von San Sebastián und Bilbao gepflegt wird.

Abschließend sollte man noch ein viertes Gebiet erwähnen, nämlich die Provinz
Valencia, die mit ihrer Paella eine sicherlich höchst barocke Komposition erstellte
mit Reis als der wichtigstem, reichlich verzierten Bestandteil. Den Erfolg dieses
Gerichts beweisen die zahlreichen Nachahmungen in Spanien selbst und auch außerhalb
des Landes. Das Wesentliche besteht hierbei in der Kunst des Reiskochens, die
sich kaum vermitteln läßt. Zwei entscheidende Vorgänge dabei sind die genaue
Dosierung der Flüssigkeit, in die der Reis gegeben wird - nicht zuviel und nicht
zuwenig - und vor allem kein Umrühren: der Reis muß seinen Durst alleine löschen.
Alles andere ist leeres Gerede.

Nicht versäumen, die kulinarischen Geheimnisse Spaniens zu ergründen. Die zahlreichen,
in den letzten Jahren erschienenen, Bücher können dabei ganz hilfreich sein,
genauso wie die Gastronomierubriken in den Zeitschriften, die fast immer von
Männern geführt werden - bezeichnenderweise! Aber dennoch geht nichts über die
Erfahrungen vor Ort. Erzählen Sie mir dann anschliessend Neuigkeiten vom Schinken
aus Montánchez/Extremadura oder aus Jabugo in Andalusien, gleich in den ortsansässigen
Fabriken gekostet, wo das unnachahmliche iberische Schweinefleisch zubereitet
wird. Aber bei der Entdekkungsreise nicht vergessen, sich dem gänzlich verschobenen
Zeitplan der spanischen Mahlzeiten anzupassen, damit dieses unfreiwillige Fasten
die Freude am Festessen noch steigert!